Enteignet: Warum uns der Medizinbetrieb krank macht (German Edition)
Ärzte zum Beispiel die Daten in den Patientenakten manipulieren, um in ihrer Klinik mehr transplantieren zu können. Natürlich ist dieses ärztliche Verhalten verwerflich und muss geahndet werden. Aber man muss auch nach den Gründen fragen: Warum tun sie das? Und: Wer verleitet denn diese Ärzte dazu, sich so zu verhalten? Nicht nur der unmittelbar Handelnde ist schuld. Schuld sind auch diejenigen, die für das System zuständig sind; auch sie, vor allem sie, sind für unnötige Operationen und ungerechte, fingierte Verteilung der knappen Transplantationsorgane verantwortlich. Verantwortlich, weil sie unwissenschaftlich und ungeprüft Grundlagen der Warenwirtschaft auf die Medizin übertragen. Und auch deshalb verantwortlich, weil sie im Medizinbetrieb vor allem einen Wirtschaftszweig sehen und nicht das, was Medizin eigentlich sein sollte: ein vorsichtiges, freundliches, patientenzugewandtes System, um Kranken zu helfen, ohne zu überlegen, wie viel dies an finanziellem Gewinn bedeutet. Vertrauen wird zerstört: Wie kann denn ein Patient sicher sein, dass eine Operation oder ein diagnostischer Eingriff wirklich notwendig ist und nicht aufgeschoben werden kann, wenn der Kranke gleichzeitig weiß, dass finanzielle Interessen bewusst oder unbewusst den Arzt beeinflussen!
Vielleicht ist gelegentlich sogar das Gegenteil der Fall? Vielleicht werden dringende Eingriffe fälschlicherweise nicht gemacht, weil dieses Vertrauen zwischen Ärzten und Patienten durch das Geld vergiftet wurde. Es ist ja vorstellbar, dass ein Kranker, der sein Vertrauen verloren hat, einen wirklich notwendigen Eingriff fälschlicherweise ablehnt und dadurch Schaden nimmt.
Das Selbstbild der Ärzte unterscheidet sich eben sehr von der Wahrnehmung in der Gesellschaft. In den Arzt wird immer noch ein Bild reinprojiziert, Held oder Messias. Die Patienten wollen das und sehen es auch so im Fernsehen. Professor Brinkmann. In meinen Vorlesungen zeige ich manchmal Teile aus der »Schwarzwaldklinik«, weil dort das gespiegelt wird, was der Arzt alles erfüllen muss. Er muss zuhören, ein bisschen väterlich, er muss Verständnis haben und klug urteilen. Andererseits muss er auch manchmal ein bisschen forsch sein: »Jetzt machen wir mal so! Jetzt ist gut!« Will man diesem Bild genügen, wird man fast zur multiplen Persönlichkeit. Kein Arzt kann das leisten! Und die Patienten, die manchmal zu mir kommen, beschweren sich zuweilen über andere Ärzte. Oder erklären: »Das ist der beste Arzt der Welt. Der hat mir zugehört, der hat sich endlich um mich gekümmert …« Fünf Minuten später ist einer da und sagt vom selben Kollegen, am selben Tag: »Nee! Da gehe ich nicht noch mal hin. Das ist doch völlig unmöglich, der hat mir überhaupt nicht zugehört, der hat in seinem Computer herumgetippt, und hinterher hat er eine Frage gestellt, die hatte gar nichts mit dem zu tun, was ich ihn gefragt habe.« Derselbe Arzt! Wie kann das sein?!
Ärzte sollten durchaus etwas Besonderes für die Patienten sein. Man muss sich schon mit dem Patienten verstehen. Das ist anders, als wenn man sein Auto in der Werkstatt abgibt. Man muss sich mit den Mechanikern nicht unbedingt verstehen. Aber beim Arzt geht es um die eigene Existenz und um Vertrauen. Ich gebe mich ja in die Hand eines anderen Menschen und erlaube sogar, dass er Eingriffe an mir vornimmt. Dass er mich aufschneidet. Und dazu gehört natürlich auch, dass er mehr weiß über den Patienten als nur: Welche Laborwerte stimmen nicht?
Einen guten Arzt macht aus, dass er versucht, ein Freund der Patienten zu sein. Nicht sie irgendwo hin zu bewegen, sie zu zwingen, Medikamente unbedingt einzunehmen. Aber wenn der Patient sich wehrt, dann gilt er schnell als non-compliant , nicht kooperationsbereit, dann wird der Arzt schon mal sauer. Ja, die non-compliance ! Das ist ja heutzutage der Hauptvorwurf an Patienten, wobei ich lieber »Ungehorsam« sage. Der Arzt ist eben oben: »Ich sage Ihnen als Arzt, was Sie zu tun haben, und wenn Sie nicht tun, was ich will, dann sind Sie non-compliant und selber schuld, wenn Sie hinterher Probleme haben.« Alles Unsinn, ein Patient hat doch das Recht zu sagen: »Mache ich nicht.« Das Grundgesetz gilt auch für Kranke.
Der Patient muss nicht gehorsam sein. Wenn er etwas nicht will, auch wenn das unvernünftig ist aus der Sicht des Arztes, so schützt unser Grundgesetz seine Unvernunft. Allerdings muss der Patient vorher vollständig, richtig und verständlich über die
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