Entfernte Verwandte: Kriminalroman
auf meinen Baustellen oder in meiner Halle herumliefen. Zumindest wollte ich dabei sein.
»Ich wollte dich damit nicht belasten. Du hast sowieso genug um die Ohren«, erklärte Antti, obwohl ich ihn gar nicht gefragt hatte. Er trat näher, sah mich aus seinen grauen Augen an und verströmte väterlich warmen Schweißgeruch.
»Und wo war Jaatinen?«
Antti wirkte verlegen. Ich wusste, dass er meinen Geschäftsführer nicht mochte. Trotzdem wollte er ihn nicht verpetzen.
»Wer weiß, wo der gesteckt hat«, schnaubte er schließlich. »Der kommt und geht wie der Wind, bringt weder Nutzen noch Schaden …«
»Scheiße!«, fluchte ich und machte mich sofort auf den Weg. Ich lief durch den Umkleideraum und die Waschräume in das Foyer des Büroflügels, das mit straff gepolsterten Kunstledersofas möbliert war, wie es sich für den Empfangsbereich einer honorigen Firma gehört. Auf dem leeren Schreibtisch stand sogar eine große Telefonanlage, eine regelrechte Zentrale. Nur die Sekretärin, die freundlich erklärt: »Er spricht gerade, soll ich es am Mobilanschluss versuchen?«, fehlte. Noch.
Jaatinens Tür war zu. Statt zu klingeln und zu warten, bis die grüne Lampe aufleuchtete, marschierte ich schnurstracks in sein Büro. Jaatinen schob seinen Stuhl zurück, doch als er sah, dass ich es war, rollte er ihn wieder an den Schreibtisch, stützte die Ellbogen auf und starrte auf seinen Monitor.
»Was führt den Aufsichtsratsvorsitzenden zu mir?«, erkundigte sich Jaatinen affektiert. Er war ein großer, schlaff wirkender Mann, einer von den Typen, die im Sommer kurzärmlige Hemden tragen und das Jackett ihres hellen Anzugs ablegen, aber nicht auf die Krawatte verzichten.
»Es waren Inspektoren hier. Warst du dabei, als sie die Firma unter die Lupe genommen haben?«, fragte ich ohne Umschweife.
Jaatinen setzte sich ein wenig gerader hin.
»Vom Bezirk? Der Arbeitsschutzbeauftragte und einer von der Gewerkschaft«, riet er.
Ich nickte.
»Verflixt. Um die hatte ich mich doch gekümmert.«
Selbst Jaatinens Flüche waren irgendwie weich und schlaff. Er war von Kopf bis Fuß das Söhnchen aus gutem Hause, das Klavierunterricht bekommen und Modellflugzeuge aus Balsaholz gebastelt hatte. In Wahrheit wusste ich nichts über Jaatinens Herkunft. Ich hatte ihn aufgrund seiner Ausbildung und Berufserfahrung eingestellt, einen Ingenieur, der sich mit Projektverwaltung auskannte.
»Da ruf ich gleich mal an. Ich schalte auf Lautsprecher«, erklärte er und griff nach seinem Smartphone. Das hatte er verlangt, als wir seinen Arbeitsvertrag aufsetzten, mit der Begründung, er brauche es für seine Kontakte und wegen der Kalenderfunktionen.
»Wo willst du anrufen?« Mir schwante Böses.
»Beim Bezirk. Zum Teufel, ich hab dafür bezahlt, dass keiner herkommt. Und mit der Gewerkschaft haben wir den gleichen Deal. Das hat die Firma eine schöne Stange Geld gekostet, da kann man ja wohl erwarten …«
»Verdammte Scheiße! Leg sofort auf, Jaatinen!«, brüllte ich.
Ich trat ans Fenster, zog die Jalousie hoch und betrachtete den mit Erlengebüsch bewachsenen Hügel, an den mein Grundstück grenzte.
Lange Überlegungen waren überflüssig. Ich hatte Jaatinen eingestellt, weil mein Bauunternehmen legal werden und expandieren sollte. Ich wollte weg von den schmutzigen, schwierigen und unberechenbaren Miniaufträgen, bei denen schon die Offerte mit einem Augenzwinkern eingeholt wurde. Unterlagen und Rechnungen sollten dabei so weit der Wahrheit entsprechen, dass das Bauvorhaben offiziell angemeldet werden konnte, aber alle Beteiligten gingen davon aus, dass möglichst viel in Schwarzarbeit und hintenherum erledigt wurde.
Es war Jaatinens Job, überzeugende Angebote für große Aufträge zu berechnen, die Arbeiten auf Subunternehmer zu verteilen, bei der Materialbeschaffung seine Beziehungen zu nutzen und die Baustellenlogistik zu rationalisieren. Ich hatte ihn als professionellen Leiter einer legalen Baufirma eingestellt. Mit einem Ruck ließ ich die Jalousie herunter.
»Du gehst, Jaatinen. Ohne Kündigungsfrist. Leg das Handy und die Autoschlüssel auf den Schreibtisch. Wenn du ein Foto von deiner Frau in der Schublade hast, nimm’s mit, von mir aus auch deinen Lieblingsrechenschieber, und dann raus mit dir zur Bushaltestelle. Mit der Dreiundsiebzig kommst du in die Stadt oder zur S-Bahn.«
»Ich wohne in Oulunkylä …«, murmelte Jaatinen. Erst dann kam er auf die Idee, zu protestieren. »Du kannst mich doch nicht einfach so
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