Entfernte Verwandte: Kriminalroman
oder Kinder wünschte, oder ob er genau das Leben führte, das er führen wollte. Anstatt so zu leben, wie es sich gehörte.
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Ich schnitt vorgestrichenes Paneel-Holz für die Außenverkleidung passgenau zu. Ich hatte Antti Kiuru gebeten, mir irgendeine körperliche Arbeit zu geben, etwas Einfaches, womit auch der Chef fertig wurde, das zugleich aber auch von Nutzen war.
Ich brauchte Bewegung und Anstrengung, gleichmäßige physische Belastung. Wenn die Muskeln arbeiten, funktioniert auch der Kopf besser. Man kann das Gehirn in aller Ruhe rattern lassen wie einen Computer und sich inzwischen mit etwas anderem beschäftigen.
Wenn ich vor einem schwierigen Problem stand, ging ich oft joggen oder Ski laufen. Nach zwanzig Kilometern auf der Loipe wirkte alles einfach. Aber diesmal fürchtete ich, dass ich selbst nach einem Marathonlauf mit anschließendem Zirkeltraining in einem gut ausgestatteten Fitnessraum keine Lösung finden würde.
Meine Halle stand am Rand eines kleinen Industriegebiets. Über die Grenzen der ehemaligen Dörfer und heutigen Vororte der Stadt und der ehemaligen Landgemeinde Helsinki war ich nicht genau informiert. Ich nahm an, dass das Gebiet zum Vorort Suutarila gehörte. Es lag jedenfalls südlich der äußeren Umgehungsstraße, also gerade noch in Helsinki, ungefähr auf halber Strecke zwischen Tikkurila und Malmi.
Auf dem Gelände war bereits seit Langem Kleinindustrieangesiedelt. In den unordentlich dahingewürfelten, hässlichen Gebäuden wurden Leim, Stahlzäune und Safes produziert, Klima-Anlagen repariert und Baugerüste vermietet.
Im vergangenen Herbst hatte man begonnen, die Umgebung aufzupeppen. Die alten Ackerstreifen, auf denen sich Erlenbüsche und Weiden breitgemacht hatten, wurden mit großen Maschinen gerodet und in eine gleichmäßige Humusfläche verwandelt. Dann erschienen die Vermesser, markierten ihre Messlatten, nivellierten die Fundamentabtreppungen und das Gefälle der Kanalisation. Bald darauf war das Gelände in Viertel aufgeteilt, deren Ränder vom schwarzen Asphalt noch namenloser Straßen gezeichnet wurden. Auf mehreren Grundstücken war im Lauf des Winters die im Bebauungsplan ausgewiesene maximale Quadratmetermenge hochgezogen worden, auf den meisten anderen hatte man zumindest die für die Fundamentplatte vorgesehene Fläche mit grobem Schotter belegt.
Ich sägte die letzten Planken zurecht und stapelte sie auf, um alle Enden auf einmal streichen zu können.
In der Halle waren nur ein paar Männer. Sie fertigten Wandelemente für Garagen, die ich als Halbfertigprodukte verkaufen wollte. Antti Kiuru baute mit dem Nagler Dachstühle zusammen. Er war gebürtiger Ingermanländer, ein gutes Stück älter als ich. Antti arbeitete schon seit Langem bei mir, ich hatte ihn auf vielen Baustellen als Vorarbeiter eingesetzt, weil er der geborene Schreiner war und obendrein Bauzeichnungen lesen konnte. Er war fähig, die komplizierten Konstruktionspläne der Ingenieure zu korrigieren, und fand Mittel und Wege, die verrückten Einfälle der Architekten zu verwirklichen.
Antti blickte mich verstohlen an. Es war mir klar, dass er etwas mit mir bereden wollte. Ich brachte es nicht über mich,zu fragen, ob er und seine Frau jemals ein Lebenszeichen von ihrem verschwundenen Sohn erhalten hatten, und sei es auch nur eine Ansichtskarte aus irgendeinem fernen Land. Insgeheim war ich überzeugt, dass Eino Kiuru sich auf finnischem Boden befand, oder vielmehr einige Fuß darunter.
»Was gibt’s? Ist zu Hause etwas passiert?«, fragte ich, als die Männer Pause machten.
»Nein, aber hier.« Antti deutete in die Halle. »Es läuft nicht gut«, fügte er hinzu.
»Das weiß ich selbst.« Ich gab mir Mühe, mich nicht aufzuregen.
Antti stellte den knatternden Kompressor ab, fummelte an dem Gerät herum, als ob tatsächlich irgendein Ventil repariert werden müsste.
»Es waren Inspektoren hier«, brachte er schließlich heraus. Es klang beinahe, als wolle er sich entschuldigen.
»Was für Inspektoren, zum Teufel?«
»Ah, vom Arbeitsschutz und von der Gewerkschaft«, erklärte Antti. »Aber keine Sorge. Sie haben die Gerüste geprüft und die Kräne angeguckt, aber nix gefunden. Fast alles war in Ordnung, bloß bei einem Feuerlöscher, da war die Wartung überfällig. Dafür haben wir eine Beanstandung gekriegt. Sie schicken den Bericht per Post.«
Auch wenn ich heikle Unterlagen nicht auf dem Schreibtisch liegen ließ, schmeckte es mir nicht, dass irgendwelche Offiziellen
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