Entfesselt: House of Night 11 (German Edition)
Hand, und Stark blieb stehen. Sie waren Dallas’ Spur stetig nach Westen gefolgt, geradewegs bis zum vielbefahrenen Riverside Drive. »Dort.« Kalona zeigte auf die andere Seite der Straße, wo die glatte Oberfläche des Arkansas River im Mondlicht glitzerte. »Er glaubt, er könnte seine Blutspur im Wasser verwischen.«
»Er glaubt? Wollen Sie damit sagen, das funktioniert nicht?«
»Nicht mit mir. Er blutet noch immer, und ihn wittere ich ebenso deutlich wie seine Spur.«
»Ah. Gut.« Stark folgte dem Unsterblichen über den vierspurigen Riverside Drive und war nur froh, dass es zu spät und kalt war, als dass noch Jogger oder Radfahrer unterwegs gewesen wären. Sicher, Kalona hatte einen langen Mantel übergeworfen, aber seine Flügel waren trotzdem nicht gerade unauffällig.
Nachdem sie den asphaltierten Radweg überquert hatten, hielt Kalona an und beugte sich tiefer über das Unkraut. »Hier ist er zum Fluss hinuntergestiegen.«
Stark betrachtete das Grünzeug, schnupperte, versuchte, Dallas’ Blut zu erspähen oder zu wittern. Alles, was er roch, war der schlammige, fischige Fluss. Der Unsterbliche aber schien sich seiner Sache sicher zu sein, also folgte Stark ihm achselzuckend zum Fluss hinunter. Am Ufer hielt Kalona wieder an. Diesmal hockte er sich hin und schien in vollen Zügen die Luft einzusaugen, während er intensiv über das träge fließende Wasser blickte. Seit dem Eissturm im Dezember war es ziemlich trocken gewesen. Der Fluss war seicht, und aus der vor sich hindümpelnden Brühe schauten lange Sandbänke hervor.
Stark ging neben ihm in die Knie. »Ich wusste nicht, dass Sie so gut Spuren lesen können.«
»Ich habe Äonen damit zugebracht, böse Kreaturen aufzuspüren, deren Täuschungskünste die dieses kleinen Vampyrs weit überstiegen. Diese Kunst vergisst man nicht so leicht.«
Stark beobachtete ihn aus den Augenwinkeln und fragte sich nicht zum ersten Mal, worin genau Kalonas Dienste an der Göttin bestanden hatten, ehe er gefallen war. Und wenn er so verdammt gut in seinem Job gewesen war, dass er noch Jahrhunderte später so unheimlich gut Spuren lesen konnte, warum bitte hatte sie ihn dann rausgeschmissen?
»Dort!« Kalona zeigte mit dem Finger. »Siehst du ihn, dort auf dem Stück Treibholz am anderen Ufer?«
Stark lächelte. »Ich muss etwas nicht sehen, um es zu treffen. Ich brauche nur ein bisschen Platz. Sie können sich schon mal bereitmachen, ihn einzusacken. Jetzt kommt der Job, in dem ich unheimlich gut bin.«
Er stand auf, legte einen Pfeil auf die Sehne und spannte den Bogen.
So, Pfeil, dring bis zu den Federn in den Schenkel des Vampyrs namens Dallas ein
, dachte er mit aller Macht – konzentrierte sich auf sein ausgewähltes Ziel – und ließ den Pfeil fliegen.
Mit befriedigendem Sirren schoss er von der Sehne, schwirrte unsichtbar und tödlich durch die Luft.
»Aaaah!«, drang Dallas’ Schrei weithin hörbar über das Wasser zu ihnen.
Stark grinste Kalona draufgängerisch an. »Fass.«
Zoey
Es war, als wollte die erste Stunde nie enden. Normalerweise ging ich gern in Thanatos’ Spezialunterricht. Sie war vielleicht nicht die unterhaltsamste Lehrerin der Schule (hm, das war Erik), aber sie war wahnsinnig klug und ließ uns Fragen über alles Mögliche stellen – solange wir uns ihr und allen anderen gegenüber respektvoll verhielten. Ich rutschte auf meinem Stuhl hin und her und warf einen Blick nach hinten. Soweit ich wusste, waren Kalona und Stark noch nicht wieder zurück – mit oder ohne Dallas. Aber alle roten Jungvampyre waren gekommen. Diejenigen, die nicht zu Dallas’ Bande gehörten wie Kramisha und Shaylin, Johnny B oder Ant, saßen eher vorn, in den Reihen direkt hinter meinem Kreis, Aphrodite und mir. Nicole war mit Shaylin hereingekommen und saß jetzt neben ihr. Ihre Ex-Kumpels hatte sie keines Blickes gewürdigt, während die sie angestarrt hatten wie ein zerquetschtes Tier am Straßenrand.
Aurox saß nicht wie sonst allein am Rand der ersten Reihe. Als er hereingekommen war und zögernd an uns vorbeigehen wollte, hatte Damien ihm gewinkt und gesagt, er könne sich neben ihn setzen, weil Rephaim und Stevie Rae noch in der Krankenstation seien und ihre Plätze daher frei waren. Aurox hatte einen Moment gezögert und mich angesehen. Ich hatte halb die Achseln gezuckt und halb genickt, und da hatte er Damien gedankt und sich neben ihn gesetzt. Also saßen zwischen ihm und mir nur Damien und Aphrodite, und als Thanatos anfing, über
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