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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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stämmigen Beinchen. Er war das Wesen, die Seele, die ich in meinem ganzen Leben am meisten geliebt habe. Aber da es ein böses Ende mit ihm nahm, war ich mit demonstrativen Liebesbeweisen seitdem sehr sparsam.
      Irgendwie hatten etliche Hundert Jahre des Zurückziehens und der konstanten Verstärkung meines Schutzpanzers und meines wachsenden Widerwillens gegen körperliche und emotionale Berührungen schließlich 1982 in Los Angeles zur Geburt von Nastasja Crowe geführt.
      Innocencio hatte sich irgendwann durchgesetzt, was Tahiti und Sea Caraway betraf. Ich denke, ich hätte locker noch ein paar Jahrzehnte länger dortbleiben und an der besten Bräune meines Lebens arbeiten können - wir Isländer sind nicht gerade ein super gebräuntes Völkchen. Aber ich hatte meine Hütte verlassen und wir flogen zu Cicely, Stratton, Boz und Katy nach London. Dann reisten Incy und ich weiter nach New York, um nachzusehen, ob es dort aufregend genug war, dass die anderen uns folgten.
      »Wer willst du sein?«, hatte Incy gefragt. Er hatte den Namen Sky längst abgelegt und war zu seinem Lieblingsnamen Innocencio zurückgekehrt. Wir lagen uns auf zwei Sofas in einer Suite im Four Seasons Hotel gegenüber, weil unser Apartment noch nicht fertig war.
      »Es ist kalt hier«, hatte ich gesagt und einen großen Schluck von meinem Whiskey Sour genommen. Um Zeit zu sparen, hatte uns der Zimmerservice gleich einen ganzen Krug voll gebracht. »Es ist New York. Im November. Natürlich ist es kalt.« Incys Stimme klang ein wenig gelangweilt und ungeduldig. Ich wäre gern auf Tahiti geblieben, aber niemand konnte Incys monatelangem Flehen widerstehen, vor allem dann nicht, wenn er es auch noch mit Gejammer und energischem Beharren mischte. Als er mir dann ein tolles Apartment hoch oben über der Stadt, interessante Leute und eine aufregende Kunstszene versprach, gab ich nach.
      Das Apartment entpuppte sich als Eigentumswohnung, was eine Unmenge Papierkram mit sich brachte. Die interessanten Leute wurden erst interessant, nachdem ich im Waschraum von Studio 54 Kokain geschnupft hatte, was aber auch nur eine halbe Stunde vorhielt. Die Kunstszene war aufregend, aber sie war auch aktivistisch und oft sehr politisch.
      »Ich dachte, wir hätten beschlossen, New York zu hassen.« Um meine Füße zu wärmen, schob ich sie unter ein Kissen. Ich konnte sein gereiztes Schnaufen selbst aus vier Metern Entfernung hören.
      »Das war in den Siebzigern, auf dem Höhepunkt der Rezession«, erinnerte er mich in einem zu geduldigen Tonfall. »Dies sind die Achtziger, die Wirtschaft boomt und New York ist von  neuem Leben erfüllt.«
      Die Vorstellung, dass ich jetzt zwischen zwei Palmen in einer Hängematte liegen könnte - ich löste meine zusammengebissenen Zähne weit genug, um mir noch mehr Whiskey in den Hals zu kippen. Normalerweise war ich umgänglicher, aber ich wollte einfach nicht hier sein. Er würde mich jedoch nie nach Tahiti zurückgehen und allein dort leben lassen. Brot und Butter, sagte er immer, das wären wir. Er war mein bester Freund, der Mensch, der mir von allen am nächsten stand. Wieso war ich dann so sauer?
      Ich zuckte mit den Schultern, was sinnlos war, da ich auf dem Rücken lag. »Es kommt mir hier so schmutzig vor. Überall lungern Obdachlose herum. Ich musste gestern auf dem Weg ins Taxi sogar über einen drübersteigen.«
      Innocencio setzte sich auf. Seine Naturlocken waren an den Seiten mit Gel geglättet und oben auf dem Kopf auftoupiert. Scharf rasierte Koteletten verliehen seinem Gesicht eine Art finsterer Schönheit. »Okay, wohin willst du?«, fragte er energisch. Er stand auf und zeigte drohend mit dem Finger auf mich. »Und wag es nicht, Moorea zu sagen!«
      »Paris.«
      »Nein, Paris ist grauenvoll im Winter, das weißt du genau.« »Und trotzdem sind wir in New York.«
      Sein Mund verzog sich missmutig und er fuhr sich mit einer gereizten Bewegung durchs Haar. Ich lag auf der Couch, sah ihn bockig an und fragte mich, wie weit ich ihn wohl noch reizen konnte.
      Es erstaunte mich immer wieder, wie er es schaffte, allein durch Willenskraft seine Laune zu ändern. Als er das nächste Mal ausatmete, löste sich ein Großteil seiner Anspannung. Er kam zu mir, setzte sich auf meine Couch und stieß mich mit dem Bein an, damit ich ihm Platz machte.
      Wie gut ich diesen verführerischen, leicht verlegenen Ausdruck kannte. Er setzte ihn jedesmal auf, kurz bevor er bekam, was er wollte, und

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