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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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sie nicht sehen. Oh Gott, wenn ich ihre Schritte auf der Metalltreppe hören würde, Was sollte ich dann tun - aus dem Fenster springen? Um Hilfe schreien? Wenn Reyn jetzt bloß hier wäre. Dann wäre alles gut - schon gut, ich sehe selbst die Ironie.
      Du bist feige, wisperte meine verhasste innere Stimme. Und eine Heuchlerin. Und du nutzt die Leute nur aus.
      Wenn es nach mir ginge, wäre meine innere Stimme auf der Stelle gefeuert.
      Das Paar verließ MacIntyres Laden. Die blonde Frau hielt sich schützend die Hand über die Augen, schaute die Straße auf und ab und betrachtete auch die neuen Geschäfte. Ich tauchte panisch noch tiefer ab. Würden sie mein Auto sehen? Konnten sie meine Energie daran spüren?
      Beim nächsten vorsichtigen Blick sah ich sie immer noch dastehen und miteinander reden. Nach mehreren Minuten, in denen ich vor Angst kaum atmen konnte, stiegen sie endlich in ihre protzige Karre und fuhren weg. Ich lag auf dem Boden und fühlte mich, als wäre ich gerade zehn Kilometer gerannt. Die nächste halbe Stunde blieb ich reglos liegen und fürchtete, dass sie zurückkommen würden. Nachdem ich schließlich tausend Kontrollblicke aus dem Fenster geworfen hatte, schlich ich zur Tür hinaus und flitzte die Metalltreppe hinunter, so schnell ich konnte. Dann rannte ich über die Straße, hechtete ins Auto und stellte auf der Heimfahrt einen neuen Rekord auf. Die ganze Zeit über versuchte ich mir hektisch einzureden, dass es nur ein verrückter Zufall gewesen war, dass mir die beiden nichts getan hatten. Es funktionierte nicht. Meine Angst war nicht rational, aber sie war echt und tiefgreifend und nur ein Idiot würde so etwas ignorieren. Und ich war in letzter Zeit etwas weniger idiotisch als sonst. Etwas.
      Dass meine Angst plötzlich richtige Gesichter hatte, machte alles noch viel schlimmer.
      ***
    Wieder auf der Farm angekommen, machte ich mich auf die Suche nach River und fand sie mit Reyn, Joshua, Amy und Brynne im Küchengarten. Sie rissen die toten Pflanzen aus und warfen sie in ein Feuer, das von weißen Steinen umringt war. Salatpflänzchen, Rosenkohl, Erbsen, Rüben - alles war abgestorben, verwelkt und schwarz geworden.
      Seit dieser furchtbaren Szene auf dem Heuboden hatte ich Reyn nur beim Frühstück gesehen. Ich hatte erwartet, dass er kühl und reserviert sein und seine Verärgerung deutlich zeigen würde, aber er schien sich Mühe zu geben, ganz normal auszusehen.
      Wie üblich sah mich River mit ihren klaren braunen Augen so prüfend an, als könnte sie direkt in meine Seele schauen. Ich zog mir meinen Fleeceschal etwas enger um den Hals.
      »Warst du in der Stadt?«
      »Ja.« Ich konnte hier nicht mit ihr reden. Reyn würdigte mich keines Blickes, als er Rüben ausriss und ins Feuer warf. Brynne und Joshua arbeiteten Seite an Seite, die Köpfe dicht zusammen. Als sie meine Stimme hörte, richtete sie sich auf. Brynne sah entzückend aus in dem roten Pullover, der braunen Cordhose und den bunt bedruckten Gummistiefeln im Cowboylook. Als sie sicher sein konnte, dass Joshua nicht hinsah, grinste sie mir zu und presste die Hände gegeneinander: wahre Liebe, Schmacht.
      Joshua schaute auf, deshalb konnte ich nicht reagieren. Was fand sie nur an ihm? Er war abweisend, schweigsam, ein Einzelgänger, ein Kämpfer -
      Okay, schon gut. Kein Grund, es mir unter die Nase zu reiben.
      »Übernimm du dieses Beet.« Amys Anweisung brachte Reyn dazu, sie anzusehen. Sie lächelte ihn an und zeigte auf das Möhrenbeet. »Ich mache dann hier weiter.« Er nickte und mir fiel wieder ein, dass Amy vor Ottavios Ankunft in Reyn verknallt gewesen war. War sie vielleicht immer noch. Ich wusste es nicht.
      Jedenfalls konnte Reyn jetzt darauf eingehen. Mit mir war er ja offensichtlich fertig.
      »Alles in Ordnung?« River tätschelte meine Schulter, wobei sie sich bemühte, mich nicht dreckig zu machen.
      Ich nickte und beschloss, ins Haus zu gehen. Vielleicht konnte ich freiwillig meditieren oder Tee trinken oder so etwas.
      »Mittagessen ist fertig« Roberto kam auf uns zu und das zu lange Haar fiel ihm modisch über den Kragen seines Karohemdes und der Wildlederweste. Bei jedem anderen hätte diese Kombination total albern ausgesehen, aber zu Rivers jüngstem Bruder passte sie. War ihm wirklich wieder eingefallen, woher wir uns kannten? Diese Peinlichkeit konnte ich gerade gut gebrauchen. »Alles klar, Leute, lasst uns Mittagspause machen«, sagte River und zog ihre

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