Entfesselt
auf Rivers Liste stand.
»Okay«, sagte ich und überprüfte die Liste ein letztes Mal. »Ich glaube, das war's.« Ich hob den Korb hoch und ging zur Tür, aber Daniel rührte sich nicht.
»Gehen wir«, sagte ich energisch.
Er zuckte mit den Schultern. »Ich hatte noch keine Gelegenheit, mit dir allein zu reden. Mich würde interessieren, was du von River und der ganzen Situation hältst.«
Ich schätze, eine höfliche Person hätte geantwortet und sich zivilisiert mit dem Bruder ihrer Mentorin unterhalten. Aber was ich von Höflichkeit halte, ist ja allgemein bekannt. »Wieso?«
Daniel war verdutzt. Damit hatte er nicht gerechnet. »Ich glaube, River macht sich Sorgen wegen dir.«
»In welcher Hinsicht? Lass mich durch.«
Daniel ging nur zögernd aus dem Weg - ich musste ihn praktisch wegschubsen, um durch die Tür zu kommen.
»Sie findet, dass du nur eine Belastung bist.«
Diese gelassen geäußerten Worte ließen mich innehalten und ich drehte mich zu ihm um.
»Hat sie das gesagt?«, fragte ich knapp.
Wieder zuckte er mit den Schultern. »Sie ist nicht sicher, ob sie dir trauen kann«, fuhr er fort, als er merkte, dass er meine ungeteilte Aufmerksamkeit hatte. »Sie glaubt, dass du noch nicht genug kannst, um von Nutzen zu sein. Sie und Ottavio sind überzeugt, dass die Angriffe irgendwas mit dir zu tun haben.«
Ich stand kurz davor, zu hyperventilieren. Gedanken schossen mir durch den Kopf wie Stacheldraht, zerfetzten mein
Selbstbewusstsein und ließen mich alles infrage stellen. Daniel kam ein paar Schritte näher und sah mich mitfühlend an. »Tatsache ist nun mal, dass die ganzen schlimmen Dinge erst passiert sind, seit du hier bist. Und dann bist du mit Innocencio weggegangen - River hat mir erzählt, wie schrecklich diese Sache in Boston war.«
Mein Gesicht glühte bei der Vorstellung, wie River mit Daniel darüber sprach.
»Du bist noch nicht lange genug hier, dass sie dir wirklich vertrauen könnte.« Er lachte kurz auf. »Glaub mir, sie ist schwer zu überzeugen. Du musst dich erst beweisen, und das immer wieder.«
Die widerlichen, nur zu vertrauten Gefühle der Scham streckten ihre eisigen Tentakel in mir aus, brachten mein Herz zum Hämmern und verkrampften meine Kiefer. Und dann -
- dann sagte ein entschieden cleverer Teil von mir: Warte mal. Willst du diesem Typen glauben, den du kaum kennst, oder vertraust du dem, was River selbst gesagt hat, was deine eigenen Augen und Ohren und dein Herz dir sagen?
Noch vor kurzer Zeit hätte ich Daniel sofort geglaubt. Was aber auch daran lag, dass ich keine Erfahrungswerte hatte, wem ich vertrauen konnte und wem nicht, und auch keinen inneren Kompass, der mir sagte, was stimmte.
Aber jetzt sah ich das alles viel klarer. Ich wusste jetzt, wann ich mir selbst gegenüber ehrlich war, und diese einschneidende Veränderung erlaubte mir auch, Ehrlichkeit bei anderen zu erkennen. Daniel schwafelte Blödsinn. Aber wieso?
»Ich weiß, dass es schwer zu begreifen ist«, sagte er freundlich und kam noch näher. »Sie konnte sich schon immer gut verstellen, um nicht zu zeigen, was sie wirklich vorhat. Es ist schwer zu erkennen, was ihre Pläne sind und wie sie die Leute ausnutzt.«
»Daniel. Was zum Teufel redest du da?« Ich war noch nicht sauer, aber auf dem besten Weg dorthin. Vor allem aber war ich verwirrt. Sollte das eine Art Test sein?
»Nastasja, es ist okay. Es ist nicht deine Schuld. Aber River hat mir gesagt, dass es für alle viel leichter wäre, wenn du einfach fortgingst.«
Hallo, Wutanfall! Das ist nicht wahr, ist nicht wahr, ist nicht wahr ...
»Ehrlich?«, sagte ich bemüht gelassen. »Weil sie mir nämlich gesagt hat, dass sie mich jagen wird wie einen entlaufenen Hund, wenn ich weggehen sollte, und dass sie mich dann mit Klebeband ans Bett fesseln wird, um sicherzugehen, dass ich bleibe. Und dann wird sie mich mit Tee, Unterricht und ballaststoffreicher Nahrung zwangsernähren.«
Er machte große Augen, runzelte dann aber schnell die Stirn. »Nein. Das hat sie nicht gesagt.«
Jetzt waren meine Gedanken so klar wie eine Kristallkugel. »Doch, Daniel. Das hat sie gesagt.«
Er unternahm einen neuen Versuch. »Sie meint nicht immer was sie sagt.«
Ich atmete durch die Nase, um meine Wut im Zaum zu halten. Es klappte nicht sehr gut - ich hätte ihm jetzt locker einen Amboss auf den Kopf hauen können.
»Eigentlich, Daniel, habe ich die Erfahrung
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