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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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als hätte ich Stacheldraht in der Brust. Aber kannte ich dieses Gefühl nicht schon mein ganzes Leben? Immerhin war das einer der Gründe, wieso ich mich in den letzten paar Jahrhunderten mit Partys abgelenkt und betäubt hatte. Um weniger zu fühlen. Weniger Schmerz, weniger Angst, weniger Selbsthass.
      Seit ich hier war, fühlte ich mich besser. Noch ein oder zwei Jahrzehnte und ich würde ein ganz neuer Mensch sein!
       Ich holte mir den kleinen dreibeinigen Melkschemel, der aussah, als wäre er genauso alt wie das Haus, und hockte mich damit links neben Buttercup. Ich glaube, das muss eine Art Bauernregel sein - wenn man mehr als eine Kuh besitzt, muss mindestens eine von ihnen Buttercup heißen. Die Kuh warf mir einen gelangweilten Blick zu und schlug mit dem Schwanz. Ich war darauf vorbereitet und lehnte mich schnell zurück, um ihn nicht ins Gesicht zu bekommen. Dann tauchte ich praktisch unter die Kuh und stellte den Eimer in Position.
      Ich zog mit geübtem Griff an Buttercups Euter und hörte die warme Milch gegen die Wand des Metalleimers zischen. Wie üblich fanden sich die Stallkatzen ein und sahen gebannt zu. Ihre Schwänze fuhren raschelnd durchs Stroh.
      Ich seufzte und ließ den Kopf gegen Buttercups feste Flanke sinken. Ohne dass ich etwas dagegen tun konnte, stürzte alles über meinen Tarak-Sin, meine Familie und Reyn wieder auf mich ein. Reyn war untrennbar mit meiner Familientragödie verbunden - das grausige Ende meiner Familie spiegelte das seiner eigenen.
      Als ich zehn Jahre alt war, durchbrach eine Horde Plünderer aus dem Norden unsere Stadtmauern. Sie stürmten meines Vaters Hrókur - so etwas wie eine kleine Burg. Der Anführer der Horde hieß passenderweise Erik, der Blutrünstige, und war Reyns Vater. Erik und einer von Reyns Brüdern hatten die massive Tür der Bibliothek aufgebrochen, in der meine Mutter, meine Geschwister und ich uns verschanzt hatten, jeder mit einer Waffe in der Hand, sogar mein kleiner Bruder. Haakon war sieben Jahre alt gewesen.
      Reyns Vater und Bruder hatten meine Schwestern Tinna und Eydis getötet, indem sie ihnen mit gebogenen Schwertern den Kopf abschlugen. Mein großer Bruder Sigmundur stürzte sich auf sie wie ein echter Krieger, das schwere Schwert, das mein Vater ihm mit fünfzehn gegeben hatte, hoch erhoben. Es brachte Reyns Vater eine tiefe Armwunde bei, was ihn zwang die Schwerthand zu wechseln. Aber es hatte nicht ausgereicht und Sigmundurs Kopf landete auf dem Boden, kurz bevor sein Körper zusammensackte.
      Meine Mutter, die ihr Amulett in der Hand hielt, setzte ihre grauenvolle dunkle Magie ein und häutete Reyns Bruder. Der Mann hatte einfach nur dagestanden, blutüberströmt, mit einem verblüfften Ausdruck auf seinem hautlosen Gesicht. Dann hatte sie ihm den Kopf abgeschlagen, denn das Häuten allein reichte nicht aus, um einen Unsterblichen zu töten.
      Starr vor Angst hatte ich meinen Dolch fallen gelassen und mich hinter meiner Mutter versteckt. Und als ihr Kopf mit den langen blonden Zöpfen über den Boden rollte, war ihr Körper auf mich gefallen und ihre Wollröcke verbargen mich. Ich verschone euch mit langen Beschreibungen meiner Flucht und meinen Ängsten, als ich erkannte, dass mein Vater und jede andere Person in unserer Burg ermordet worden waren.
      Aber es ergab sich, dass meine Familie ihre Rache bekam. Erik, Reyn, Reyns übrig gebliebene zwei Brüder und sieben von Eriks Männern waren etwa einen Kilometer die Straße hinuntergegangen, damit sie sich weiterhin daran erfreuen konnten, wie die Burg meines Vaters brannte. Dort versuchten sie dann, das Amulett meiner Mutter zu benutzen, den Tarak-Sin unseres Hauses, der die Kraft und Magie vieler Jahrhunderte in sich vereinte. Aber sie erkannten nicht, dass das Amulett zerbrochen war - eine Hälfte war bei mir in der brennenden Burg - und ihre gestohlene Magie ging nach hinten los. Jeder in ihrem Zirkel ging in Flammen auf und verbrannte zu Asche. Bis auf Reyn, der nach hinten umgefallen war.
      Die Hälfte vom Amulett meiner Mutter brannte sich in Reyns Brust ein und er trug eine Narbe davon, die meiner ähnelte, aber nicht mit ihr identisch war. Nachdem ich aus Boston zurückgekehrt war, hatte Reyn mich damit geschockt, dass er mir die Hälfte gab, die ihn so viele Jahrhunderte zuvor gezeichnet hatte. Er hatte sie die ganze Zeit behalten, obwohl sie für ihn völlig nutzlos war. Er hatte mir erzählt, dass er das halbe Amulett aufgehoben hatte, um sich selbst

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