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Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
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mehr als hundert Jahre zuvor aufgezogen hatten. Auch er war ein Unsterblicher und hatte schon früh erkannt, dass ich ebenfalls einer war. Ich fragte ihn: >Wieso habt Ihr mir das nie gesagt?< Er antwortete: >Weil du es nie verdient hattest, es zu erfahren.< Und er hatte recht. Aber er nahm mich ein zweites Mal auf und ich beschritt den langen schmerzhaften Pfad, der schließlich zur Vergebung führt. Irgendwann begegnete ich River. Ich bin jetzt zum vierten Mal hier und es ist mein bisher längster Aufenthalt - bis jetzt sind es fünf Jahre.«
      »Krass«, staunte ich. Fünf Jahre in der Reha waren eine verdammt lange Zeit.
      »Aber wenn du dir Gedanken um dein Gepäck machst-«, fuhr Daisuke mit ernster Miene fort. »Vor vier Jahren kam ein Mann her, um mich zu töten.«
      »Hierher, nach River's Edge?«, fragte ich.
      »Ja«, bestätigte Daisuke. »Er hatte unter meinen Händen gelitten - er war einer der jüngeren Samurai, die ich fast ein Jahrhundert zuvor gequält hatte - und er kam, um sich zu rächen. Er war offensichtlich unsterblich und hatte einen Großteil seines Lebens damit verbracht, nach mir zu suchen und seine Kräfte zu steigern für den Tag, an dem er mich finden würde.« Daisuke verstummte.
      »Was ist passiert?«, fragte ich.
      Er verblüffte mich mit einem bitteren Lächeln. »Er war immer noch wütend. Aber er beschloss, nicht Mann gegen Mann zu kämpfen. Stattdessen wartete er ab, bis ich in der Scheune war - die mit dem aufgemalten Hexagramm.«
      Ich runzelte die Stirn. »Hier gibt's keine Scheune mit einem Hexagramm.«
      »Hiroshi hat mich in die Scheune gesperrt und sie angezündet«, sagte Daisuke, ohne auf meinen Einwand einzugehen.
      »Er hat die Türen mit Zauberformeln verschlossen, damit wir sie nicht öffnen konnten, selbst wenn es uns gelang, die Schlösser aufzubrechen. Er hatte alles gut geplant - die meisten anderen waren auf dem örtlichen Bauernmarkt.
      Leider waren noch andere bei mir in der Scheune. Asher, Jess und zwei weitere Schüler, die zu jener Zeit hier waren, Ivan und Solidad. Solidad rannte die Leiter zum Heuboden hoch und sprang aus dem kleinen Fenster. Es waren rund sechs Meter bis zum Boden und sie brach sich das Bein. Jess wollte nicht springen und Asher wollte Jess nicht allein zurücklassen. Also sprang ich nach Solidad als Nächster und dann Ivan und gemeinsam schafften wir es, das Feuer so weit zu löschen, dass  wir mit einer Axt die Tür aufhacken konnten. Der Rest des Gebäudes stand in Flammen.
      Wir rissen die Türen auf. Dicker, beißender Rauch quoll heraus. Drinnen waren Jess und Asher bereits ohnmächtig. Drei der Pferde waren schon tot und ein weiteres hatte durch Rauch und Hitze so starke Lungenschäden, dass es eingeschläfert werden musste. Solidads Bein war gebrochen. Ivans Hände schlimm verbrannt. Ivan und ich hatten überall Brandwunden. Hiroshi war verschwunden.«
      Auf seinem Gesicht wechselten sich Schmerz, Bedauern, Schuld und Entsetzen ab - dasselbe Wechselbad der Gefühle, unter dem ich gelitten hatte, nachdem ich Incy nach Boston gefolgt war.
      »Und deswegen gibt es hier keine Scheune mit aufgemaltem Hexagramm mehr«, sagte er. »Und deswegen haben wir nur sechs Pferde in einem Stall mit zehn Boxen.« Er richtete sich auf und setzte die Katze ab. Dann rollte er mit den Schultern, als wollte er diese Jahre der Qual abschütteln. »Du siehst also, Nastasja, dass du nicht die Einzige bist, die Dunkelheit an diesen Ort gebracht hat. Und wenn du weg bist, wird jemand anders kommen. Und er oder sie wird sein Gepäck mitschleppen.« Ich verarbeitete noch die Tragödie, die er beschrieben hatte, schaute aber auf, als er tief Luft holte.
      »Außerdem befürchte ich, dass wir zu spät zum Frühstück kommen«, sagte er und klang wieder viel mehr wie er selbst. »Und in der Küche warten sie garantiert auf die Milch.« Er hielt mir die Hand hin und ich nahm sie. Ich hob den Milcheimer hoch und wir gingen zurück zum Haus.

5
 
      Wir hatten das Frühstück verpasst, deshalb schnappte ich mir zwei Scheiben Brot und klemmte etwas Schinken dazwischen. Daisukes Geschichte hatte mich aufgewühlt - die Parallelen zu meinem eigenen Leben waren irgendwie verstörend, auch wenn ich nicht herumgezogen war und Leute umgebracht hatte. Zumindest nicht mit Absicht. Das brachte mich zu der Frage, ob alle - oder zumindest die meisten - Unsterblichen ähnliche Muster in ihrem Lebenslauf hatten. Gab es vielleicht auch welche, die

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