Entfesselt
der Stadt zum Baustellenhund. Sie begann jeden Tag damit, Reyn pflichtbewusst überallhin zu folgen, aber gegen neun Uhr wurde sie dann müde und rollte sich auf irgendeiner Jacke oder zu meinen Füßen zusammen.
Mein Projekt näherte sich der Vollendung. Die vier Geschäfte unten waren fertig und zu jedem Verkaufsraum gehörten ein kleines Lager, ein Aufenthaltsraum für die Mitarbeiter und ein Badezimmer. Alle Wasserhähne und Lampen funktionierten und alles wirkte frisch und sauber. Ray und Tim, die den Coffeeshop eröffnen wollten, arbeiteten bereits an der Inneneinrichtung. Sie hatten die Wände in einem tiefen Dunkelrot gestrichen und installierten Kühltruhen, einen Verkaufstresen und ein weiteres Waschbecken im Servicebereich. Ich hatte mir vorgenommen, die Erste in der Schlange zu sein, die dort einen Latte bestellte.
Auch von außen war alles fertig. Es war immer noch ein ungewohnter Anblick, die frisch gestrichenen Fassaden zu sehen, wenn man um die Ecke kam, aber ich fand, dass die ganze Straße dadurch aufgewertet wurde.
Als meine Arbeiter den Innenausbau beendet hatten, machten sich einige von ihnen auf dem leeren Nachbargrundstück nützlich. Sie stemmten den alten Beton heraus und nutzten ihn für den Aufbau erhöht angelegter Blumenbeete an den Seiten der beiden Gebäude, die an das freie Grundstück angrenzten. Der Müll war verschwunden und die alten Betonstufen waren an die Wand versetzt worden, wo sie nun als Sitzgelegenheit dienten. Es sah entschieden besser aus als vorher.
Ich fühlte mich geschützt. Ja, wirklich. Aber ich spürte auch - dass etwas passieren würde. Als ich den ersten Tag wieder in der Stadt war, ging ich in eine der Wohnungen im ersten Stock, um mir anzusehen, wie weit die Arbeiten gediehen waren. Ich war ganz allein dort, alles war ruhig, aber trotzdem brachte mich etwas dazu, hastig die Rune Eolh in die Luft zu zeichnen und eine schützende Beschwörung zu murmeln.
River suchte immer noch nach einer Spur von Innocencio. Es war schwer zu begreifen, wie jemand, der so auffällig war, einfach verschwinden konnte. Ich betete immer wieder, dass er nicht noch einmal kam, um mich zu holen.
Ottavio rief River jeden Abend aus Boston an. Seine Nachrichten waren beunruhigend: Er hatte keine Spur von dem Gebäude gefunden, in dem Miss Ednas Klub gewesen war. Ich hatte ihm alles erzählt, woran ich mich noch erinnerte, aber obwohl er auf einer Fläche von einigen Quadratkilometern praktisch von Tür zu Tür gegangen war, hatte er nichts gefunden.
River hatte ihm gesagt, wo das Lagerhaus war, in das Incy mich, Katy und Stratton gebracht hatte, und wenigstens das hatte er entdeckt. Allerdings berichtete er, dass es vollkommen unbenutzt wirkte - über allem lag eine dicke Staubschicht, als wäre dort seit Jahren niemand mehr gewesen. Auch oben auf der Galerie fanden sich keinerlei Anzeichen, dass dort etwas geschehen war - keine Fußspuren im Staub, keine Spuren eines Kampfes, kein großer Fleck von Katys Blut. Aber da River, Asher und Reyn es mit eigenen Augen gesehen hatten, brauchte ich nicht zu befürchten, dass mir niemand glaubte. Aber es war schon bizarr und gruselig, dass alle Spuren wie ausgelöscht waren.
Wie auch immer. Ich fragte mich, ob Dray wohl wieder auftauchen und versuchen würde, eine der Wohnungen zu mieten. Aber die Tage vergingen, ohne dass sie sich blicken ließ. Reyn und Joshua arbeiteten an entgegengesetzten Enden der Baustelle wie Drittklässler, die vom Lehrer auseinandergesetzt worden waren. Aber sie machten keinen Ärger und so hatte ich keinen Grund, einem von beiden in den Allerwertesten zu treten.
Brynne kam tatsächlich vorbei, um zu sehen, »wie es lief«. »Guter Gott, was isst du da?«
Ich versuchte, den zu großen Bissen herunterzuwürgen, den ich im Mund hatte. »Mmpf«, machte ich und wedelte mit der freien Hand. Als ich wieder sprechen konnte, sagte ich: »Eine Quesadilla mit Shrimps, Polenta, Erbsen und Schalotten. Ich bete, dass Julie Pitson bald wieder schwanger wird, damit sie nicht mehr so viel freie Zeit hat.«
Brynne setzte sich auf den zweiten Klappstuhl und hielt die Hand auf. Ich gab ihr ein Viertel von der Quesadilla ab und sie probierte einen Bissen. Sie rollte vor Entzücken mit den Augen und stöhnte hingerissen. Ich sah ihr zu und grinste, denn Joshua war hinter ihr aufgetaucht und bekam alles mit.
»Himmel, das war besser als ein Orgasmus!«, verkündete Brynne und schwenkte die
Weitere Kostenlose Bücher