Entfesselt
zwei kleine Schritte vorwärts, zwei kleine Schritte zurück, einen Schritt nach links, dann eine Drehung. Er summte und passte seine Schritte einer Musik an, die ich zuletzt in einem Mantel-und-Degen-Film gehört hatte.
Seine Hand auf meinem Rücken war warm. Er bewegte sich mit federleichten Schritten, lautlos und natürlich unglaublich anmutig. Dieser Eroberer, der Winterschlächter, war richtig nett. Und einfühlsam. Und romantisch.
Meine Schultern entspannten sich ein wenig, während meine Füße noch darum kämpften, sich an die Tanzschritte zu erinnern.
Damals - im späten 18. Jahrhundert - tanzten Paare nicht allein. Stattdessen waren Gruppentänze angesagt, bei denen man sich umeinander herumschlängelte, sich in den langen Kleidern verfing und vergaß, wer der eigentliche Partner war oder welche Stelle des Tanzes gerade an der Reihe war. Außerdem waren die Gemäuer immer feucht, selbst im Winter, und die Ballsäle waren von tausend Kerzen erleuchtet, die alle Rauch und Wärme produzierten.
Aber hier war es kühl und nur die Straßenlaterne spendete ein mattes Licht. Außer uns war niemand da und nur wir konnten die Musik hören.
»Das ist viel einfacher, wenn man es nur zu zweit tanzt«, sagte ich und drehte mich einmal um ihn herum. Dabei hielten wir beide die Hände erhoben und meine linke Handfläche lag an seiner. »Ich habe ständig die Schritte vergessen.«
Er lächelte. Und als ich so tat, als raffte ich meine langen Röcke aus dem Weg, umkreiste er mich, wobei er mich erst ansah und mir dann den Rücken zudrehte, als wir uns auf die Zehenspitzen erhoben, auf und ab, immer wieder.
Ich atmete aus. »Ich kann es dir auch gleich gestehen. Ich bin die schlechteste Tänzerin aller Zeiten. Die Leute haben mich immer >die Hübsche, die wie ein Bär tanzt< genannt.« Er lachte und vergaß weiterzusummen. »Das warst du?« Ich war empört. »Nun komm schon! So berüchtigt war ich nicht.«
»Das wirst du nie erfahren«, neckte mich der neue Reyn. Meine Füße bewegten sich jetzt leichtfüßiger, passend zu meiner Stimmung. Wir hielten uns an den Händen und machten rythmische Schritte in einer Linie, eins-zwei, eins-zwei. Eine nur aus dem Augenwinkel wahrgenommene Bewegung entpuppte sich als Joshua, der lautlos an der Tür aufgetaucht war und uns mit dem Werkzeuggürtel in der Hand beobachtete.
Reyns Muskeln spannten sich sofort an, von den Fingerspitzen den Arm hinauf, bis sein ganzer Körper kampfbereit war. Obwohl es mir ein bisschen peinlich war, wollte ich weitermachen, denn zum ersten Mal in meinem Leben hatte ich Freude an etwas, das sonst immer eine Qual gewesen war. Joshua kam wortlos auf uns zu. Reyn war angespannt wie eine Bogensehne. Ich war erst verblüfft und dann erfreut, als Joshua an meine andere Seite trat und seine Schritte einen Moment später unseren anpasste. Er hielt mir die Faust hin und ich legte leicht die Hand darauf ab, wie ich es früher schon getan hatte, vor so langer Zeit und bei Männern, die nicht ansatzweise so attraktiv oder interessant gewesen waren wie diese beiden. Dort, auf dem Linoleumboden des dunklen leeren Ladens tanzten wir drei einen Tanz, den wir etliche Jahre zuvor in verschiedenen Ländern gelernt hatten. Wir waren andere Menschen mit anderen Namen gewesen, die ein anderes Leben gelebt hatten. Jetzt waren wir hier und tanzten zu gesummter Musik ein altes Menuett, zwei Schritte vor, zwei Schritte zurück, einen Schritt nach links und dann eine Drehung.
Es war eigentlich richtig schön.
18
Auch in den folgenden Tagen blieb Rivers Stimmung gedrückt. Sie lächelte weniger als sonst. Ich nutzte weiterhin die Vormittage zum Lernen, flüchtete aber auch jeden Tag in meine Läden. Dort herrschte Leben und es wurde etwas geschaffen. Außerdem war es schön, die fertigen, frisch gestrichenen Räume zu sehen, die so voller Möglichkeiten zu sein schienen. Niemand sah oder hörte noch etwas von unserem Geist.
Reyn und Joshua kamen beide weiterhin zur Arbeit, aber der kurze Waffenstillstand, den sie bei unserem gemeinsamen Tanz geschlossen hatten, ebbte schnell wieder ab. Die beiden wirkten auf mich immer noch wie zwei wütende Löwen, die einander umkreisten, und ich fragte mich, welcher von ihnen dem anderen wohl zuerst an die Kehle springen würde.
Immer wenn ich gerade nicht damit beschäftigt war, mir beim Ausstellen unzähliger Lohnschecks einen Schreibkrampf zu holen, nutzte ich die Gelegenheit, etwas über
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