Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entfesselt

Entfesselt

Titel: Entfesselt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Cate Tiernan
Vom Netzwerk:
Katastrophe. Es war schon dunkel und auch im Gebäude waren die meisten Lampen ausgeschaltet. Lediglich eine Straßenlaterne warf ihr gelbliches Licht durch mein Fenster auf den Boden. »Noch mehr Probleme?«
      »Nein, Senorita. Ich wollte Ihnen danken, dass Sie meine Leute eingestellt haben.« Sein Englisch war so schwer zu verstehen, dass ich wünschte, er würde ins Spanische wechseln. Aber er hatte seine Ansprache offenbar einstudiert und wollte mir damit seinen Respekt erweisen. Er konnte ja nicht wissen, dass Englisch gar nicht meine Muttersprache war. Und auch nicht die zweite, dritte oder vierte Sprache, die ich in meinem Leben gelernt hatte.
      »Nun, Bill hat euch eingestellt«, klärte ich ihn auf. Zumindest hoffte ich, dass Bill die Leute eingestellt hatte. Oder kamen sie einfach so und fingen an zu arbeiten? Bei dieser Vorstellung bekam ich Kopfschmerzen.
      »Aber Sie bezahlen uns.«
      Ich bezahlte mittlerweile fast die gesamte Bevölkerung von Lowing, aber egal.
      »Ihr leistet gute Arbeit«, sagte ich.
      José stand da und schob seine Kappe von einer Hand zur anderen. Ich begann, mich unwohl zu fühlen: Er hatte mir gedankt. Schön. Und jetzt sollte er gehen.
      »Gibt es ... noch etwas?«
      »Ihr Geld hat ... Ich habe das Geld nach Hause zu meiner Frau geschickt, damit sie herkommen konnte«, stieß José hastig hervor. »Unser Sohn ist letzte Woche hier geboren worden.« Oh. Jetzt war alles klar. Das Baby war Amerikaner, weil es auf amerikanischem Boden geboren worden war.
      Weil ich José einen Job gegeben hatte.
      »Glückwunsch«, sagte ich und versuchte, etwas Wärme in meine Stimme zu legen. »Aber Bill ist derjenige, der euch angeheuert hat.« Geh und bedank dich bei Bill. Ich wusste nichts von dir. Ich habe dich nicht absichtlich eingestellt. Es war einfach nur Zufall, ich hatte nicht vor, dir oder deiner Frau zu helfen.
      Aber keine gute Tat blieb ungestraft und José war noch nicht fertig.
      »Sie haben ihm erlaubt, uns einzustellen«, beharrte José auf seiner Meinung. »Viele Leute hätten ihm gesagt, nein, keine Ausländer. Aber Bill ist mein Nachbar. Er hat mir gesagt, dass ich zum Arbeiten herkommen soll. Er sagt, da wäre ein Mädchen, das für harte Arbeit bezahlt. Jeden bezahlt.«
      Aha. Ich hatte also einen Ruf als weichherziges »Mädchen«, das man ausnehmen konnte. Na toll. Ein paar Hundert Jahre mühsam erkämpfter eiserner Härte einfach weggewischt durch ein dämliches Projekt, zu dem River mich gezwungen hatte. Was für ein Mist.
      »Ich bezahle jeden, der arbeitet«, verteidigte ich mich schwächlich und meine Hände ballten sich zu Fäusten. Ich fühlte mich wie eine Betrügerin. Kapierte er es denn nicht? Am liebsten hätte ich geschrien: Ich bin nicht hier, um anderen zu helfen! Ich versuche, mir selbst zu helfen!
      »Ich arbeite hart für Sie, Miss«, sagte José stolz. »Und ich danke Ihnen.«
      »Gern geschehen, José«, sagte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Ich versuchte, meine Lippen zu einem Lächeln zu verziehen, und endlich nickte José, nahm seinen Werkzeuggürtel und ging.
      Ich war den Tränen nah. Ich wollte einfach, dass die Leute ihren Job machten und mich meinen machen ließen. Mein Kinn bebte und ich biss die Zähne noch fester zusammen. Ich wollte die Gebäude in Brand stecken, durch die Räume rasen und alles kaputtschlagen, nur um nie wieder die Dankbarkeit von irgendwem ertragen zu müssen.
      Ich sackte an meinem Klapptisch zusammen und schlug die Hände vors Gesicht. Ein leises Geräusch ließ mich hochfahren - war das der Geist?
      Es war Reyn. Er kam auf mich zu, trotz der schweren Arbeitsstiefel so leise wie ein Blatt im Wind, und hielt mir die   Hand hin.
      »Was?«, fauchte ich.
      Er verbeugte sich wie ein altmodischer Galan.
      »Ich bin nicht in der Stimmung für so was«, knurrte ich ihn an. »Was willst du?«
      Mit leicht entnervtem Gesichtsausdruck nahm er meine Hand und zog mich auf die Beine. Dann führte er mich in die Mitte des Ladens. Ich ließ es nur unwillig geschehen. Er begann, etwas zu summen, und dann fing er an, sich zu bewegen, mit mir an seiner Seite. Mich zu sperren und störrisch stehen zu bleiben, brachte mir gar nichts. Es dauerte nicht lange, bis ich die uralten Tanzschritte erkannte.
      Ich hob die Brauen. »Was zur Hölle machst du da?«
      »Was wäre es«, sagte er sanft, »wenn ich dich einfach als jemanden betrachte, der gute Dinge tut?« Er zwang mich in seinen Takt,

Weitere Kostenlose Bücher