Entfesselt
bedankte, war das Ganze doch eine gute Sache. Eigentlich hatte ich es für mich selbst getan, aber es war natürlich nicht schlecht, dass ich damit auch ein paar Leuten geholfen hatte.
Und was hinderte mich, dasselbe auch woanders zu tun? Es gab hier noch mehr leer stehende Gebäude - und in den Nachbarorten ebenfalls. Und sogar in Großstädten - ich konnte so viele Gegenden aufrüschen, wie ich wollte.
Ein Arbeiter, dessen Daumen wie verrückt blutete, riss mich aus meiner Glückseligkeit.
»Oh je. Was ist passiert?«
»Ich bin mit dem Daumennagel an die Kreissäge gekommen. Sie hat ihn abgerissen und im Erste-Hilfe-Kasten sind keine »Äh, okay ...«
»Pavel.«
»Okay, Pavel. Sie waschen jetzt die Wunde aus - mit Seife - und ich laufe schnell über die Straße. Sind Sie in letzter Zeit gegen Tetanus geimpft worden?«
Pavel, der schon auf dem Weg zum Waschbecken war, nickte. Ich lief über die Straße zu MacIntyre. Ein Blick auf die Uhr sagte mir, dass es erst halb drei war - Meriwether würde noch in der Schule sein. In der Erste-Hilfe-Abteilung griff ich mir ein paar Packungen mit Pflastern in verschiedenen Größen - die guten, die wirklich klebten - und ging nach hinten. Ich hatte keine Wahl, ich musste zu Old Mac an die Kasse.
Und da war Mrs Philpott, die am hinteren Tresen stand und mit ihm plauderte. Als ich näher kam, hörte ich, wie Mrs Philpott schmunzelnd etwas sagte, und dann ... lächelte Old Mac.
Ein richtiges Lächeln, bei dem sich Fältchen um seine Augenwinkel bildeten. Ich blieb wie angewurzelt stehen und starrte ihn an. Er sah so normal aus, wenn er lächelte. Es war kaum zu glauben. Er kam mir vor wie eine von meinen hässlichen Baulücken, die jetzt von Mrs Philpott in einen schönen Garten verwandelt wurde.
Er sah nicht begeistert aus, als er mich entdeckte, aber zumindest funkelte er mich nicht mehr so böse an wie sonst. Mrs Philpott begrüßte mich mit »Hallo, meine Liebe« und ich
grüßte zurück. Als ich meine Pflaster bezahlt hatte, hastete ich zurück über die Straße. Dann half ich Pavel, seinen Daumennagel wieder dorthin zu drücken, wo er hingehörte, und klebte
das Ganze mit mehreren Pflastern fest.
Am nächsten Morgen hatte ich Eierdienst. Als ich mich noch halb verschlafen unter der niedrigen Tür des Hühnerstalls hindurchduckte, wäre ich beinahe auf ein Huhn getreten, das dort still und kalt herumlag. Ich sah mich hastig um – mehrere Hühner lagen tot am Boden und weitere in ihren Boxen. Es gab keinerlei Anzeichen eines Kampfes, wie nach dem Angriff eines Fuchses oder einer Schlange. Nur tote Hühner. Ich ging River holen.
»Ich habe schon die Tierärztin angerufen«, sagte sie bedrückt, als wir uns im Stall umsahen. Ich hatte mir Gummihandschuhe mitgebracht und sammelte die toten Vögel ein. Dann legte ich sie in einen großen Karton. Die Tierärztin sollte sie auf Krankheiten oder Parasiten untersuchen, aber ich ging davon aus, dass sie nichts finden würde. Ich vermutete, dass sie durch Magie getötet worden waren, und ich war ziemlich sicher, dass River dasselbe dachte.
»Ich kann nicht begreifen, wieso der Schutzzauber nicht wirkt«, sagte ich frustriert. »Er kam mir so stark vor-«
Und das brachte mich zurück zu dem Gedanken, dass er vermutlich nicht wirkte, weil ich ohne wirkliche Aufforderung daran teilgenommen hatte. Ich hielt inne, mit dem vierzehnten toten Huhn in der Hand. Es ist eine Sache, theoretische Vermutungen anzustellen, wie es gewesen sein könnte; aber es war etwas ganz anderes, die Auswirkungen zu sehen, all diese armen Vögel, die sinnlos gestorben waren. Ich legte das Huhn sanft auf den Stapel der anderen und versuchte, mein Gesicht so ausdruckslos wie möglich zu halten. Ich drehte mich weg, als wollte ich nach weiteren toten Hühnern suchen, und ging ans andere Ende des Stalls, wo ich auf den Boden starrte, weil meine Wangen vor lauter Scham knallrot waren.
»Ich warte draußen auf Sharon«, sagte River und ging hinaus. Ich lehnte mich gegen die Wand aus alten Brettern. Meine Gedanken überschlugen sich und meine Brust war wie zugeschnürt. Ich wollte auch nach draußen an die frische Luft, nur weg von dem Hühnerkot, den Hühnerfedern und dem Hühnertod, aber ich musste der Tatsache ins Auge sehen: Es war meine Schuld, dass der Schutzzauber versagte. Wir waren alle entspannt herumgelaufen und hatten uns darauf verlassen, dass diese umwerfende, machtvolle und wunderschöne
Weitere Kostenlose Bücher