Entfessle mich! (German Edition)
die Person an der angegebenen Adresse kannte. Die Fahrt dauerte nur wenige Minuten. Das Taxi hielt, der Fahrer verlangte einige Pfund und ließ Gina aussteigen. Sie sah sich um. Hier war es nicht ländlich und nicht idyllisch, eher wie in einer zugebauten Kleinstadt, die früher einmal Grünflächen besessen hatte. Sie stand vor einem Mehrfamil i enhaus und suchte den Namen Morgentau an den Schildern der Türklingeln. Saschas Schwester wohnte in der obersten Etage. Gina war gespannt, wer diese Haustür öffnete. Sah Mrs. Morgentau Sascha ähnlich? War sie vielleicht selbst ein Model? Oder traf das bloß auf ihre beste Freundin zu, die den Tanzl a den führte?
Die nichtssagende weiße Haustür öffnete sich. Vor Gina stand eine blonde Frau, die eine witzige rosafarbene Brille auf der Nase trug. Sie war halb transparent und hatte eine nach außen geschwungene Form. Sie war das erste Indiz, das sie mit den F ünfziger j ahren assoziierte. Die Frau war genauso groß wie Gina . Ihre goldblonden Haare fielen wellig auf die Schu l tern und sie lächelte freundlich. Sie trug eine schwarzweißg e tupfte Bluse, dazu einen schwarzen, weiten Rock, unter dem ein Petticoat hervor lugte . Ihre Pumps waren weiß, mit einem Riemchen über dem Fußrücken und vorn spitzzulaufend. Sie sah perfekt nach Rockabilly aus. Kein Wunder, dass der Tax i fahrer sie kannte. Sie musste in der Gegend bekannt sein, wie ein bunter Hund. In diesem Kleidungsstil fiel sie auf!
„Hallo, Sie müssen Gina sein. Sascha hat mich angerufen. Kommen Sie herein.“
Gina betrat die geschmackvoll eingerichtete Wohnung. Dass Fans der F ünfziger j ahre sich dermaßen dafür begeistern kon n ten, dass ihre gesamte Einrichtung danach gestaltet wu r de, hätte sie nicht gedacht. Mrs. Morgentau führte sie ins Woh n zimmer. Darin stand einer der berühmten Nierentische und die dazu passenden Sessel waren rundlich geformt und sahen bequem aus. Die Bilder an den Wänden erinnerten sie an S a schas Kollektion im Wendeltreppenaufgang. Stars aus den Fünfzigern, einer davon im Burlesquestil.
„Nehmen Sie Platz. Möchten Sie einen Tee?“
Gina sah auf die Uhr. In Deutschland hätte sie jetzt Kaffe e pause, doch sie war hier in England, da war Teatime angesagt.
„Ja bitte, mit Zucker, ohne Milch.“
Mrs. Morgentau kam kurz darauf mit einem gelb en, pastel l farbenen Tablett zurück und stellte ihr eine mit weißem Tee gefüllte Tasse hin, die auch aus den F ünfziger j ahren zu sein schien. Sie gesellte sich zu Gina, ihr Petticoat raschelte beim Hinsetzen.
„Wie gefällt Ihnen Castlefield?“
„Ich weiß nicht genau, ich habe noch nicht viel gesehen.“
„Das wird sich sicher ändern. Sascha erzählte mir, dass Sie eine Burlesque-Tänzerin werden wollen?“
„Ja, mein Interesse daran ist sehr groß.“ Gina nahm einen Schluck süßen Tee.
„Ich zeige Ihnen nachher Ihr Zimmer. Wenn Sie sich ausg e ruht haben, fahren wir nach Stretford ins Queenies, das ist ein Pub in der Nähe. Heute Abend wird meine Freundin Kitty dort auftreten. Sie sehen es sich erst mal an und dann sagen Sie mir, was Sie davon halten, ok ay ?“
Mrs . Morgentau hatte eine melodische, ruhige und ang e nehme Stimme. Gina nickte begeistert und freute sich schon auf diesen Abend. „Muss ich dazu etwas Besonderes anzi e hen ?“
„Nein, wir sind zunächst nur Zuschauer.“
Die Zeit verging wie im Flug . Gina bekam ein kleines Zi m mer unter dem Dach, in dem sie ihre Sachen verstauen kon n te. An Ausruhen war nicht zu denken, dazu war sie viel zu aufgeregt. Sie hatte noch nie eine Burlesque S how gesehen und freute sich darauf, wie ein Kind an Weihnachten. Schlie ß lich ging es um einen Traum, den sie sich erfüllen wollte.
Gegen Abend war es soweit, Mrs . Morgentau und Gina machten sich mit dem Auto auf den Weg. In der Straße, in dem das Queenies zu finden war, parkten einige Autos. Ein paar davon waren Oldies, damit mussten die Rockabillyfans gekommen sein. Kurz darauf stand sie im Queenies, Mrs. Morgentau zeigte ihr einen besonders guten Platz in der vo r dersten Reihe und setzte sich neben sie. Der große Raum hi n ter ihnen füllte sich schnell mit Menschen . Anscheinend b e geisterte die Show Männer wie Frauen gleichermaßen.
Die Bühne war einen halben Meter erhöht. Der Boden b e stand aus hochglänzenden Holzbrettern, der Vorhang dahinter war samtig schwarz. Vor ihm hingen handtellergroße, glitzer n de und bunte Scheiben an langen Fäden. Sie drehten sich. Das war die
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