Entflammt
sie nicht einmal ausstehen konnte. Es war trotzdem schlimm.
Kurze Zeit später sank Nell in sich zusammen und schluchzte. Solis legte den Arm um sie und führte sie zum Wagen. Anne folgte ihnen, redete sanft auf sie ein und versprach, dass sie Nell ihre Sachen nachschicken würden. Nell murmelte immer noch vor sich hin, Tränen strömten ihr über die Wangen, und, um ehrlich zu sein, sie sah aus wie eine verrückte Hexe.
Ich versuchte, die Tatsache zu begreifen, dass River mir zu glauben schien und trotz allem auf meiner Seite war. Reyn stand jetzt dicht neben mir, berührte mich aber nicht. Ich sah, wie sich seine Fäuste immer wieder ballten, und merkte auch, dass die Blicke aller anderen zwischen uns hin und her wanderten wie bei einem Pingpong-Match.
River kam zu mir. Ich fühlte mich, als wäre ich in einen Küchenmixer geraten. Alle meine Emotionen waren in Fetzen und meine Nerven zum Zerreißen gespannt.
»Bist du okay?«, fragte sie.
Ich dachte darüber nach. »Nein, eigentlich nicht.«
Sie schenkte mir den Anflug eines Lächelns und warf Reyn einen Blick zu. Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf sah sie mich wieder an, als sähe sie eine Veränderung in meiner Seele, als hätte sie sie noch vor mir gespürt.
Ich atmete tief aus. Ihre Augen ruhten auf mir. »Was willst du?«, fragte sie sanft.
Ich schluckte. »Ich will hier sein«, sagte ich und äußerte damit, was mir beim Essen klar geworden war. »Zufrieden und ausgeglichen sein und nichts tun müssen, außer zu lernen. Ich möchte mich sicher fühlen und nicht wie ein Außenseiter. Ich möchte ... dazugehören. Mich würdig erweisen,
hier zu sein. So lange ich kann.« Peinlicherweise war ich den Tränen nahe, wie ein Kind oder wie jemand, der zu nah amWasser gebaut hat. Panik hämmerte in meiner Brust, aber ich ignorierte sie.
Rivers Blick wurde schärfer und ich glaubte, mehr als tausend Jahre Emotionen in ihren Augen zu sehen.
»Ja?«, sagte sie.
»Ja. Aber ... vor allem will ich ich selbst sein. Ich will Lilja vom Haus von Ulfur sein.« Ich fuhr mir mit der Hand übersGesicht, plötzlich todmüde. »Das weiß ich jetzt und ich weiß auch, was es bedeutet. Ich will meine Kraft wiederhaben. Ichwill mein Erbe. Ich will die Tochter meiner Mutter, die Erbin meines Vaters sein.« Mir versagte die Stimme und ich hattedieses heiße Gefühl hinter den Augen, das die Tränen ankündigt. Jetzt war mir das alles klar und es schien so logisch zusein.
Ein neues Licht flackerte in Rivers Augen auf, und ich glaubte, Freude, Erleichterung und Vorfreude in ihrem Gesicht zu erkennen. Sie legte den Arm um mich. »Ja«, sagte sie nur. »Ja, das wünsche ich mir für dich.«
»Warte mal«, sagte Brynne und ihre Stimme klang in der Nachtstille unnatürlich laut. »Ihr beide habt euch geküsst?« Ich stöhnte und hielt mir die Hände vors Gesicht. Reyn trat von einem Fuß auf den anderen und schaute überallhin, nur nicht auf mich. Die Dinge waren noch nicht vorbei zwischen uns - nicht die schlechten, und wie ich jetzt wusste, auch nicht die guten. Aber jetzt wollte ich wissen, wie es weiterging. Ich war genug gerannt.
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