Entflammte Herzen
mehr bin. Und ich will auch nicht, dass du Trauerkleidung trägst und dich meinetwegen grämst und quälst. Du musst mir versprechen, dass du weiterleben wirst, so lange und so gut du kannst. Emmeline braucht dich und viele andere Menschen auch.«
Sie legte ihre freie Hand vor ihr Gesicht und stieß nun endlich den verzweifelten kleinen Schluchzer aus, der sie die ganze Zeit schon zu ersticken drohte. »Kannst du nicht bei mir bleiben?«, fragte sie dann. »Kannst du nicht einfach weiterleben und gesund werden — mir zuliebe, John?«
Er schüttelte den Kopf. »Die Entscheidung darüber lag nicht bei mir, und trotzdem wurde sie getroffen. Ich habe mein Leben gelebt, Becky.«
Und da ließ sie ihren Tränen endlich freien Lauf, und sie kamen aus dem tiefsten Inneren ihres ganz und gar gebrochenen Herzens. Sie hatte anfangs, als sie John begegnet war, wieder Hoffnung gefasst, zu glauben und dem Schicksal zu vertrauen begonnen. Und nun ließ er sie einfach so im Stich. »Das ist nicht fair«, protestierte sie. »Wir hatten nicht genügend Zeit zusammen.«
John schenkte ihr ein schwaches Lächeln. »Ich glaube, nicht einmal eine Ewigkeit wäre Zeit genug.« Er wurde zusehends schwächer, und dennoch konnte sie in seinen Augen sehen, dass er seine letzte Kraft zusammennahm, um ihr noch etwas Wichtiges zu sagen, bevor es zu spät dazu war. »Wir müssen über Chloe reden. Ich hatte Kade gebeten, ihr ein Telegramm zu schicken, aber ich glaube nicht, dass sie es noch rechtzeitig hierher schaffen wird ... sofern sie überhaupt erscheint.«
Becky strich ihm sanft über die Stirn und die tiefen Sorgenfalten, die seine schön geschwungenen Augenbrauen furchten. »Du sprichst von deiner Tochter.«
John stieß einen tief empfundenen Seufzer aus. »Ich bedaure es jetzt, dir nicht ein wenig mehr von ihr erzählt zu haben.« Jedes Wort schien ihn enorme Kraft zu kosten, und Becky hätte ihn gern gebeten, sich zu schonen, aber sie wusste, dass das falsch gewesen wäre. Er hatte ein R echt darauf, auf seine Art zu sterben und sich vorher alles von der Seele zu reden, was ihn belastete oder beunruhigte. »Wir waren nie miteinander verheiratet, Chloes Mutter und ich. Während ich im Gefängnis saß, fand R achel einen respektablen Ehemann, und zusammen zogen sie Chloe in Sacramento auf. Ich habe sie dort ein paarmal besucht - Chloe, meine ich -, aber sie hielt mich immer nur für ihren Onkel.«
»Es hätte mich nicht gestört, von R achel zu erfahren, John. Ich war mir durchaus im Klaren darüber, dass du nicht wie ein Mönch gelebt hast, bevor wir uns begegneten.«
John lachte heiser. »Rachel bedeutet mir schon lange nichts mehr. Und mir ist selbst nicht ganz klar, warum ich mich nicht dazu überwinden konnte, dir ein bisschen mehr von meinem kleinen Mädchen zu erzählen. Vielleicht, weil es so wehtat und ich ein solcher Feigling war.«
»Du magst vieles sein, John Lewis«, erwiderte Becky tadelnd, während sie ihn durch einen Schleier von Tränen beobachtete, »doch ein Feigling bist du nicht. Es gibt Dinge, die sind einfach zu intim, um sie mit irgendjemand anderem zu teilen.«
»Chloe wird euch ganz schön auf Trab halten, falls sie hier erscheint«, fuhr John mit einer Mischung aus Belustigung und liebevollem Tadel fort. »Im Laufe der Jahre habe ich etwa ein halbes Dutzend Briefe von meiner Tochter bekommen - wie gesagt, sie hält mich nach wie vor für einen Bruder ihres verstorbenen Vaters -, und sie ist jemand, der mit seinen Ansichten nicht hinterm Berg hält. Sie wird euch allen eine Menge Fragen stellen, wenn sie die Wahrheit über mich erfährt, und sicherlich auch das eine oder andere Urteil fällen. Und bestimmt auch kein besonders mildes, denke ich.«
Becky wischte ihre Tränen ab und lächelte. »Du meinst also, sie ist ein bisschen eigensinnig.«
Er verdrehte die Augen. »Das wäre noch mächtig untertrieben. Chloe kann einem furchtbar auf die Nerven gehen. Sie ist eine temperamentvolle junge Frau, doch sie ist nun einmal meine Tochter, und ich liebe sie.«
»Dann werde ich sie auch lieben, wenn sie mich lässt«, versprach Becky. »Eine weitere eigensinnige Frau dürfte hier auch keinen großen Unterschied mehr machen.«
John lachte rasselnd. »Oh, sie wird einen Unterschied machen, darauf kannst du dich verlassen. Sei ruhig schon mal vorgewarnt, Becky. Und warne jeden, der bereit ist zuzuhören.«
Sie war erstaunt, dass sie noch lachen konnte, obwohl das Herz ihr fast vor Kummer brach. »So wie du von
Weitere Kostenlose Bücher