Entflammte Nacht
Eisenbahnbrücke von Charing Cross in der Nähe des Buckingham Palace. Sie war nicht einfach nur ins Wasser gesunken, sondern auch ein Stück in den dicken Schlamm am Grunde des Flusses.
Als sie die Stelle erreichten, hechtete Lord Maccon ohne Zögern vom Victoria Embankment, der vor Kurzem fertig gestellten Dammanlage, in die schmutzigen Fluten. Professor Lyall war penibler und deshalb zurückhaltender. In der Themse gab es nichts, was ihm dauerhaften Schaden zufügen konnte, dennoch rieselte ihm ein Schauer über den Rücken, wenn er daran dachte, wie er dadurch hinterher unvermeidlich riechen würde: nach einer Mischung aus nassem Hund und Flusswasser der Themse.
Lord Maccons gestromter Kopf tauchte wieder aus den Fluten empor, das Fell glatt am Schädel klebend wie bei einem Seehund. Gebieterisch bellte er seinen Beta an.
Also biss Professor Lyall die Zähne zusammen und sprang steif ins Wasser, alle vier Pfoten vor Abscheu von sich gestreckt. Seite an Seite schwammen sie dann unter die Brücke, dabei sahen sie aus wie zwei streunende Hunde, die einem Stöckchen hinterherpaddeln.
Da sie wussten, wonach sie suchen mussten, gelang es ihnen schnell, die Atemröhre zu finden; sie war an einem der Brückenpfeiler befestigt und reichte ein gutes Stück über die Hochwassermarke hinaus. Sie war dick genug, um durch sie hindurch auch Nahrung und Wasserschläuche nach unten fallen zu lassen.
Wenigstens hatte der Wesir nicht die Absicht, den armen Biffy wirklich umzubringen. Dennoch war man sehr sorglos vorgegangen. Wäre die Röhre umgefallen oder von einem Boot gerammt worden oder ein neugieriges Tier daran hoch- und dann hineingeklettert und hätte sie verstopft, wäre Biffy erstickt.
Lord Maccon tauchte hinunter, um die Konstruktion zu untersuchen. Das war in Wolfsgestalt schwierig, und in der Schwärze des Flusses fiel es schwer, etwas zu erkennen. Doch seine übernatürliche Stärke und die gute Nachtsicht als Wolf halfen ihm. Mit selbstgefälligem Gesichtsausdruck und hechelnder Zunge tauchte er wieder auf.
Bei der bloßen Vorstellung, seine Zunge auch nur in die Nähe der Themse zu bringen, wand sich Professor Lyall innerlich.
Weil Lord Maccon eben Lord Maccon war und solche Dinge konnte, wechselte er an Ort und Stelle, mitten in der Themse, seine Gestalt und wurde von einem mit allen vier Pfoten paddelnden Wolf zu einem großen, wassertretenden Mensch. Er tat dies so perfekt, dass sein Kopf dabei nicht ein einziges Mal untertauchte. Professor Lyall hatte den Verdacht, dass er solche Kunststückchen heimlich in der Badewanne übte.
»Das ist eine wirklich interessante kleine Vorrichtung dort unten, wie eine Art mechanisches schottisches Ei. Ziemlich leckere Sache übrigens, so ein hart gekochtes Ei im Hackfleischmantel. Biffy lebt noch, aber ich habe nicht die geringste Ahnung, wie wir ihn dort rausbekommen sollen, von der Methode, das verdammte Ding einfach mit roher Muskelkraft aufzubrechen und ihn durchs Wasser nach oben zu schleppen, einmal abgesehen. Glauben Sie, ein Mensch könnte so etwas überleben? Man scheint keinen Flaschenzug oder Winde an die Kugel anbringen oder ein Netz darunterschieben zu können, selbst wenn wir Derartiges zur Verfügung hätten.«
Schweren Herzens gab Professor Lyall seine Pedanterie auf und wechselte die Gestalt, wobei er sich allerdings nicht annähernd so geschickt anstellte wie Lord Maccon und unterging. Prustend und übellaunig tauchte er unter dem amüsierten Blick seines Alphas wieder auf.
»Wir könnten Madame Lefoux’ Erfinderwerkstatt plündern, aber ich denke, dafür ist die Zeit zu knapp. Wir sind Werwölfe, Mylord. Rohe Muskelkraft ist unsere Spezialität. Wenn es uns gelingt, die Kugel schnell genug zu öffnen, sollten wir ihn herausbekommen, ohne dass er viel Schaden dabei nimmt.«
»Gut so, denn sollte ich ihm doch Schaden zufügen, wird mir das meine Frau ewig vorhalten. Das heißt, wenn sie sich entschließt, überhaupt wieder mit mir zu reden. Sie ist schrecklich angetan von Biffy.«
»Ja, ich erinnere mich. Er war bei den Hochzeitsvorbereitungen behilflich.«
»Ach wirklich? War er das? Na, was sagt man dazu? Also, auf drei: eins, zwei, drei!«
Beide Männer holten tief Luft und tauchten dann ab, um die Kugel aufzubrechen.
Sie war aus zwei Hälften zusammengesetzt, die mittels großer, fest verschraubter Metallrippen miteinander verbunden waren. Beide Hälften bestanden aus einem käfigartigen Gitter, dessen rechteckige gläserne Zwischenräume
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