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Entflammte Nacht

Entflammte Nacht

Titel: Entflammte Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gail Carriger
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verstümmelt von einem Werwolf. Wie sollten sie das jemals erklären?
    »Ihnen ist vor Kurzem erst die Metamorphose bei einer Frau gelungen. Sie können es schaffen, Mylord!«
    Mit einem schwachen Schulterzucken, das deutlicher als alle Worte zum Ausdruck brachte, dass er es sich niemals verzeihen würde, wenn es nicht gelang, beugte sich der Alpha über den Hals des Jungen und biss zu.
    Normalerweise war die Metamorphose ein gewaltsamer, blutiger Akt, der sowohl Unsterblichkeit schenkte als auch mit einem Fluch belegte, doch Biffy war bereits so unglaublich schwach und hatte schon so viel Blut verloren, dass Lord Maccon es langsam anging. Dass er dazu überhaupt in der Lage war, bewies Lyall, dass Conall Maccon mehr Selbstkontrolle hatte als jeder andere Alpha, dem der Beta je begegnet war, trotz all seines schottischen Erbes und mürrischen Temperaments. Lyall konnte sich durchaus vorstellen, wie süß das Blut des Jungen schmecken musste.
    Wie als Antwort auf diesen Gedanken hörte Lord Maccon auf zu beißen und beugte sich über die Schusswunde, um das Blut aufzulecken. Dann biss er wieder zu. Das Grundprinzip der Metamorphose bestand nach Ansicht der meisten Wissenschaftler darin, dass Werwolfspeichel als Träger des Fluchs in den Kreislauf des Anwärters gelangte und entsprechend viel menschliches Blut den Kreislauf verließ. Das, so die Theorie, zerstörte die sterblichen Bande und fesselte den verbleibenden Rest der Seele an den Körper. Vorausgesetzt natürlich, es war ein Übermaß an Seele vorhanden.
    Es schien unglaublich lange zu dauern. Doch Biffy atmete weiter, und solange Biffy noch atmete, setzte Lord Maccon seine sich wiederholende Handlung entschlossen fort: beißen, lecken, beißen, lecken. Er ließ sich nicht einmal von der planschenden Ankunft ihrer Gegner ablenken.
    Bereit, die Gestalt zu wechseln, sollte dies nötig sein – immerhin stand der Mond hell über ihnen, und der Geruch von menschlichem Blut verlieh ihm zusätzliche Kraft –, erhob sich Professor Lyall und nahm Verteidigungsposition ein.
    Doch die drei jungen Männer, die aus dem Wasser stiegen, waren offensichtlich nicht an einer weiteren Auseinandersetzung interessiert. Sie zogen sich aus dem Wasser und auf die unterste Stufe der Treppe und hoben die leeren Hände, um Professor Lyall zu zeigen, dass sie die Silberdolche nicht mehr hielten. Ihre Gesichter waren von Kummer gezeichnet; einer von ihnen weinte sogar unverhohlen, und ein anderer wiegte sanft eine schlaffe Gestalt in seinen Armen. Der dritte, ein Jüngling mit grimmigem Gesicht, der sich eine schlimm zugerichtete Hand gegen die Brust drückte, ergriff schließlich das Wort.
    »Wir haben keinen Grund, weiter mit Ihnen zu kämpfen, Werwolf. Unser Meister ist tot.«
    Es handelte sich also um Drohnen, nicht um gedungene Schläger.
    Schnuppernd versuchte Professor Lyall, die Witterung des Vampirs über dem Geruch von menschlichem Blut und abgestandenem Brackwasser wahrzunehmen. Das Entsetzen traf ihn mit solcher Wucht, dass er rückwärts gegen die Steinmauer des Uferdamms taumelte. Da war er, der schwache Gestank der Vampire nach altem Blut und Verfall, vermischt mit feinen Untertönen, die wie die leisen Unterschiede edler Weine auf die Herkunft verwiesen. Lyall witterte eine sehr alte Abstammungslinie ohne Verbindung zu den modernen Vampirhäusern. Es war ein Geruch, der schon lange als verloren galt und von keinem Vampir mehr abgesondert wurde, mit Ausnahme dieses einen. Schon allein aufgrund dieses Geruchs hätte Lyall auf die Identität des Vampirs schließen können, selbst wenn der ihm nicht so bekannt gewesen wäre.
    Der Wesir!
    Doch da der Vampir nun tot und somit nicht länger ein Mitglied des Schattenkonzils war, musste man ihn vermutlich bei seinem alten Namen nennen: Sir Francis Walsingham.
    »Königin Victoria«, sagte er zu seinem Alpha, »wird darüber ganz und gar nicht begeistert sein. Warum, zum Teufel, hat er nicht jemand anders geschickt, um die Drecksarbeit für ihn zu erledigen?«
    Lord Maccon blickte nicht von seiner selbst auferlegten Buße auf: beißen, lecken, beißen, lecken.
    Mit vereinten Kräften hoben die drei Drohnen ihren toten Meister auf und stiegen mit ihm langsam an dem Earl und Biffys regloser Gestalt vorbei die Stufen empor. Sogar in ihrer Trauer vermieden sie es, ihn in seiner Anubis-Gestalt anzusehen. Als sie an ihm vorbeigingen, erkannte Professor Lyall, dass Lord Maccons Kugel Walsingham mitten ins Herz getroffen hatte –

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