Entflammte Nacht
Lyall zu fesseln.
Der Beta schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Machen Sie sich keine Sorgen, guter Junge! Das passiert den besten von uns.« Dann folgte er den beiden jungen Männern fügsam die Stufen hinunter ins Verlies des Rudels, wo sich die anderen bereits hinter Gittern befanden. Er ließ sich absolut nichts davon anmerken, wie viel Disziplin es ihn kostete, ruhig zu bleiben. Aus bloßem Stolz und Eigensinn kämpfte er gegen die Verwandlung an, so lange es nur ging.
Lange nachdem seine beiden Claviger durch die Gitterstäbe hindurch seine Fesseln gelöst und er sich seiner maßgeschneiderten Kleidung entledigt hatte, kämpfte er immer noch dagegen an. Er tat es um ihretwillen. Sie hatten sich an der gegenüberliegenden Wand postiert, um die erste Wache zu übernehmen. Damit waren diese armen jungen Kerle dazu verurteilt mitanzusehen, wie mächtige Männer zu Sklaven ihrer animalischen Triebe wurden und was ihr eigener Wunsch nach Unsterblichkeit aus ihnen machen würde. Lyall war sich nie ganz sicher, wen er zu dieser Zeit des Monats am meisten bedauerte, sie oder sich selbst. Es war die jahrhundertealte Frage: Wer musste mehr leiden, der Gentleman mit der schlecht gebundenen Halsbinde oder diejenigen, die seinen Anblick ertragen mussten?
Das war Professor Lyalls letzter Gedanke, bevor ihn Schmerz und Raserei mit sich rissen.
Er erwachte durch das laute Gebrüll von Lord Maccon. Für Professor Lyall war das so alltäglich, dass es beinahe beruhigend klang. Es hatte den angenehmen Singsang von Regelmäßigkeit und Gewohnheit an sich.
»Wer, bitteschön, ist Alpha dieses verdammten Rudels?« Das Gebrüll drang sogar durch die dicken Steinmauern des Verlieses.
»Sie, Sir!«, antwortete eine ängstliche Stimme.
»Und wer gibt Ihnen in diesem Augenblick den direkten Befehl, mich aus diesem verfluchten Gefängnis freizulassen?«
»Das sind Sie, Sir.«
»Und wer ist trotzdem immer noch eingesperrt?«
»Das sind auch Sie, Sir.«
»Und dennoch scheinen Sie irgendwie das Problem nicht zu erkennen!«
»Professor Lyall hat gesagt …«
»Ach, zum Teufel mit Professor Lyall!«
»Sehr wohl, Sir.«
Lyall streckte sich gähnend. Nach Vollmond fühlte er sich immer ein wenig steif von all dem Herumgerenne in der Zelle, dem Sich-gegen-die-Wand-Werfen und dem Geheule. Natürlich hinterließ das keine dauerhaften Schäden, dennoch blieb in den Muskeln eine gewisse Erinnerung der vollbrachten Anstrengung und der beschämenden Handlungen zurück, die nicht einmal ein ganzer Tag Schlaf auslöschen konnte. Es war ähnlich wie nach einer langen Nacht, in der man sehr, sehr betrunken gewesen war.
Seine Claviger bemerkten, dass er wach war, schlossen sofort seine Zelle auf und traten ein. Der Diener brachte eine schöne Tasse heißen Tee mit Milch und einen Teller mit rohem Fisch und gehackter Minze obendrauf. Professor Lyalls Vorliebe für Fisch war ungewöhnlich, doch die Bediensteten hatten schnell gelernt, sich dieser Exzentrizität zu beugen. Die Minze sollte natürlich den hartnäckigen Wolfsatem bekämpfen.
Er verzehrte die kleine Stärkung, während ihn sein Kammerdiener ankleidete: schöne, weiche Tweedhosen, ein Schlückchen Tee, gestärktes weißes Hemd, ein Bissen Fisch, schokoladenbraune Brokatweste, noch mehr Tee – und so weiter.
Als sich Lyall anschließend frisch gemacht hatte, war es Lord Maccon beinahe gelungen, wenn auch noch nicht ganz, seine eigenen Claviger dazu zu überreden, ihn herauszulassen. Die jungen Männer wirkten ziemlich mitgenommen und hatten Lord Maccon zumindest schon seine Kleidung durch die Gitterstäbe gereicht, doch was der Alpha mit besagter Kleidung angestellt hatte, entsprach nur entfernt dem, was man als Anziehen bezeichnen konnte. Wenigstens marschierte er nicht mehr nackt in der Zelle auf und ab, während er sie anbrüllte.
Seine Hemdmanschetten zurechtzupfend schlenderte Professor Lyall zur Zelle seiner Lordschaft. Er selbst wirkte adrett und gelassen.
»Randolph!«, bellte der Earl. »Lassen Sie mich augenblicklich raus!«
Professor Lyall schenkte ihm keine Beachtung. Er nahm den Schlüssel an sich und schickte die Claviger fort, damit sie sich um den Rest des Rudels kümmerten, das allmählich erwachte.
»Erinnern Sie sich noch daran, Mylord, wie es um das Woolsey-Rudel stand, als Sie damals als Herausforderer herkamen?«
Lord Maccon unterbrach sein Brüllen und Aufundabmarschieren kurz, um überrascht aufzublicken. »Natürlich tue ich das. So lange ist das
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