Entflammte Nacht
verstohlene Blicke auf die stummen Männer um sie herum.
»Wie ich sehe, haben sie Ihnen ebenfalls die Kleidung stibitzt«, raunte Madame Lefoux mit gesenkter Stimme, um die Bibellesung nicht zu stören. In ihren grünen Augen funkelte offene Anerkennung über Alexias zwanglose Aufmachung.
»Na ja, haben Sie den Zustand meines Kleides noch in Erinnerung? Schlamm, Säure, Hundesabber … Ich kann nicht sagen, dass ich ihnen da einen Vorwurf machen kann. Dann sind das hier also die berühmten Templer? Wirklich, Floote, jetzt verstehe ich, warum Sie sie nicht mögen. Höchst bedrohliche, stumme Kleiderdiebe. Bescheren einem skrupellos eine anständige Nachtruhe.« Sie sagte es auf Englisch, hatte aber keinen Zweifel daran, dass zumindest ein paar der Männer um sie herum die Sprache verstehen und auch sprechen konnten, sofern sie denn je sprachen.
Madame Lefoux rückte ein wenig, um Alexia Platz zu machen, doch Floote sagte bestimmt: »Madam, Sie sitzen besser neben mir.«
Alexia tat wie ihr geheißen, musste jedoch feststellen, dass sich die hartnäckige Nichtbeachtung ihrer Person sogar so weit erstreckte, dass man ihr nicht mal Platz auf der langen Bank anbot.
Floote löste dieses Problem, indem er einen seiner Nachbarn so lange energisch zur Seite drängte, bis der Mann wegrückte.
Als sich Alexia in die entstandene Lücke gequetscht hatte, wurde der Gentleman neben ihr anscheinend urplötzlich dringend anderswo gebraucht. Auf fließende Weise und ohne auffällige Bewegungen wurde ihre unmittelbare Umgebung bis auf Floote und Madame Lefoux völlig menschenleer. Eigenartig.
Niemand brachte ihr einen Teller oder überhaupt irgendetwas, womit sie essen konnte, während die Speisen aufgetragen wurden.
Floote, der seine Mahlzeit bereits beendet hatte, bot ihr schüchtern seinen eigenen schmutzigen Teller an. »Entschuldigen Sie vielmals, Madam, aber das ist das Beste, was Sie bekommen werden.«
Alexia zog beide Augenbrauen hoch, nahm den Teller jedoch an. Was für eine merkwürdige Sache! Waren alle Italiener so unhöflich?
Madame Lefoux hielt Alexia eine Servierplatte mit Melonenscheiben hin. »Drei volle Nächte. So lange haben Sie tief und fest geschlafen.«
»Was?«
Floote kam Alexia zuvor, als sie sich von der Melone bedienen wollte. »Lassen Sie mich das für Sie tun, Madam.«
»Vielen Dank, Floote, aber das ist nicht nötig.«
»O doch, Madam, das ist es.« Woraufhin er ihr alles auf den Teller tat, was sie haben wollte. Es schien, als versuchte er zu vermeiden, dass sie irgendetwas von dem Besteck berührte. Eigenartiges Verhalten, sogar für Floote.
»Fragen Sie mich nicht, womit sie uns betäubt haben«, setzte Madame Lefoux ihre Erläuterung fort. »Meiner Vermutung nach mit einer Art hochkonzentriertem Opiat. Aber wir alle haben drei volle Nächte lang geschlafen.«
»Kein Wunder, dass ich so hungrig bin.« Das war ziemlich beunruhigend. Wieder musterte Alexia die stummen, schwer bewaffneten Männer um sie herum verstohlen. Dann zuckte sie mit den Schultern. Zuerst das Essen, ominöse Italiener später. Also langte sie tüchtig zu.
Die Speisen waren einfach, aber köstlich, wenngleich gänzlich fleischlos. Neben den Melonen gab es auch noch knuspriges Weißbrot sowie würzigen gelben Hartkäse, Äpfel und einen Krug mit einer dunklen Flüssigkeit, die absolut himmlisch duftete. Floote schenkte ihr etwas davon in seinen Becher.
Zögerlich kostete Alexia einen Schluck und wurde jäh von einem Gefühl herber Enttäuschung überwältigt. Es schmeckte absolut widerwärtig, wie eine Mischung aus Chinin und verbrannten Löwenzahnblättern. »Das ist wohl der berüchtigte Kaffee, nehme ich an?«
Madame Lefoux nickte, schenkte sich selbst eine Tasse ein und fügte dann reichlich Honig und Milch hinzu. Alexia war überzeugt, dass nicht einmal der Honig eines ganzen Bienenstocks in der Lage war, dieses üble Gebräu genießbar zu machen. Wie konnte man das nur einem Tee vorziehen?
Eine Glocke ertönte, und raschelnd kam Bewegung in die Männer, die ihre Plätze verließen, als eine neue Gruppe eintrat. Diese Männer waren etwas weniger gut angezogen und wirkten nicht ganz so kultiviert in ihren Bewegungen, obwohl sie ebenfalls völlig schweigend zum Klang laut vorgelesener Bibelverse aßen. Und sie waren ebenfalls bis an die Zähne bewaffnet. Verärgert bemerkte Alexia, dass ihnen völlig selbstverständlich frisches Besteck vorgelegt wurde. Doch die Dienstboten, die mit Tabletts voller Essen und
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