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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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aufgewachsen. Noch bevor sie richtig lesen und schreiben lernen konnten, wurden sie mit neun Jahren zum Arbeiten auf die Felder geschickt. Und dann in einem Haus zu landen, in dem Anwälte, Ärzte und Zahnärzte wohnen … Zu Neujahr kleine Geschenke zu bekommen und respektiert zu werden …«
    Nachdenklich unterbricht sich Fernanda. Jean und Rachel stehen an die Wand gelehnt da, sagen nichts und warten. Die Hausmeisterin taucht aus ihren Erinnerungen auf und sieht sie an, als überrasche sie ihre Anwesenheit. Sie spricht weiter.
    »Trotzdem waren sie nie wirklich glücklich. Nie. Sie hatten zu viel gelitten, um zu wissen, wie man das Leben genießt. Es war weiß Gott nicht immer lustig. Mit sechzehn bin ich von zu Hause weggegangen. Ich habe von einem anderen Leben geträumt und jeden Job gemacht, den man ohne Ausbildung bekommen kann: Kellnerin, Empfangsdame, Telefonistin. Einmal war ich sogar Sekretärin bei einem Zahnarzt. Irgendwann habe ich geheiratet, und dann hat mein Mann diesen Job hier bekommen, der für ein junges Paar geradezu ideal ist. Ausgerechnet ich, die ich mir geschworen hatte, nie im Leben Concierge zu werden, fand mich hier als Bedienstete der Stadt Paris wieder. Kaum einen Kilometer von dem Ort entfernt, an dem ich aufgewachsen bin. Zwei Jahre später ist Laurent mit Samia durchgebrannt. Das Mädchen war weder schön noch hatte sie Charme, aber sie war wild entschlossen, einen Mann zu erobern und ihn zu behalten. Ich kannte sie gut; wir sind zusammen zur Schule gegangen. Jedenfalls blieb ich hier. Es scheint mein Schicksal zu sein … Keine Ahnung, warum ich Ihnen das alles erzähle. Das mache ich sonst nie. Aber seit gestern Abend … seit dieser Sache mit Laura … Ich denke an alles Mögliche.«
    »Erzählen Sie uns von ihr. Einfach so, ohne viel nachzudenken«, sagt Rachel sanft.
    »Ohne nachzudenken … Laura war eine tolle Frau. Ich mochte sie sehr und hätte sie gerne näher kennengelernt. Aber ich glaube, so etwas sagt man hinterher immer. Ihr Tod hat mir einen richtigen Schock versetzt. Und dann auch noch ermordet! Wer kann sie nur so gehasst haben? Wissen Sie, in meinem Job lernt man, Menschen einzuschätzen. Laura gehörte zu den Freundlichen. Immer nett, hier und da eine kleine Aufmerksamkeit, ein paar Worte. Ich habe immer gehofft, dass sie mal einen Mann findet. Einen netten Kerl. Aber nein. Sie hatte nie Herrenbesuch, allerdings stehe ich auch nicht den ganzen Tag hinter der Gardine. Schon bei meiner Mutter habe ich es gehasst, dass sie sich ständig in das Leben anderer Leute einmischte und ihre Kommentare dazu abgab. Aber irgendwann weiß man eben, wer zu wem geht, gerade wenn ein Mieter länger als sechs Monate hier wohnt. Und Laura war bestimmt schon drei Jahre hier. Wenn Sie wollen, kann ich das genaue Datum aus den Unterlagen raussuchen. Was Männer betrifft, war ziemlich offensichtlich, dass Taroudant ihr gefiel – wissen Sie, der junge Mann, der unter ihr wohnt und ihre Schlüssel hat. Aber er hat es vermutlich nicht einmal bemerkt. Er lebt mit seinen ganzen Büchern in einer anderen Welt. Besuch bekommt er nie. Es ist schon erstaunlich, dass sie ihn überhaupt dazu gebracht hat, sich um ihre Orchideen zu kümmern, wenn sie auf Reisen war. Vielleicht, weil er Pflanzen mag. Man muss schon ziemlich Ahnung haben, um diesen empfindlichen Pflanzen die richtige Menge Wasser zukommen zu lassen …«
    »Und andere Kontakte? Abgesehen von Monsieur Taroudant?«
    »Sie hatte noch drei Freundinnen. Junge Frauen aus dem Viertel. Bintou, Aïcha und Rébecca. Als Laura hier einzog, lebte sie wie im Kloster. Sie ging nie aus. Das Haus verließ sie nur, wenn sie in Uniform und mit ihrem Rollenköfferchen zur Arbeit ging. Wirklich wohl fühlte sie sich wahrscheinlich nur bei Onur, in der Kebab-Bude an der Ecke. Manchmal saß sie stundenlang dort und las. Bei Onur ist es nämlich nachmittags ziemlich ruhig, es kommen höchstens mal ein paar durstige Touristen auf dem Weg aus dem Parc de la Villette vorbei oder ein paar Leute, die im türkischen Fernsehen halbnackte Mädchen anschauen und dabei ein Glas Tee trinken wollen.«
    »Sie las?«, hakt Rachel nach. »Was hat sie denn gelesen?«
    »Woher soll ich das wissen? Irgendwelche Bücher. Ich glaube, es waren Klassiker. Jedenfalls haben die Frauen sich so kennengelernt. Rébecca studierte damals noch Literaturwissenschaft.«
    »Ich habe den Eindruck, dass Sie die drei Freundinnen ganz gut kennen.«
    »Sie waren mit meiner Tochter Lourdes in

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