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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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Zweitschlüssel anvertraut.«
    Nun übernimmt Jean mit sanfter Stimme.
    »Was haben Sie gestern Abend gemacht?«
    »Nichts Besonderes. Ich habe gelesen und bin dann zu Bett gegangen.«
    »Was haben Sie gelesen?«
    Rachels Frage überrascht alle. Sogar sie selbst.
    » Die Rothaarige von James Ellroy. Kennen Sie das Buch?«
    Die junge Frau muss unwillkürlich lächeln. »Allerdings. Ich habe es gelesen. Ein merkwürdiges Buch, das so viel verbirgt wie es enthüllt. Ein Buch, das nach dem Sturm um White Jazz um Frieden bemüht ist.«
    Rachels Worte wühlen Ahmed auf. Er betrachtet sie von der Seite. Schließlich lächelt er schüchtern.
    »Ich habe noch nie eine Frau kennengelernt, die gern Ellroy liest.«
    »Ich bin Polizistin …«
    »Stimmt, das hätte ich beinahe vergessen. Aber auch Polizisten sind Menschen wie alle anderen. Sie erzählen Geschichten. Als ob die Welt nicht schon schwierig genug wäre. Wissen Sie übrigens, was White Jazz bedeutet?«
    »Weißer Jazz, oder?«
    »Das ist nur die wörtliche Übersetzung. Laut Ellroy bedeutet es so etwas wie ›abgedrehtes, von Weißen durchgeführtes Husarenstück‹.«
    »Vielleicht bekommen wir irgendwann zu einem späteren Zeitpunkt noch einmal die Gelegenheit, unser literarisches Gespräch fortzusetzen, Monsieur Taroudant, jetzt aber müssen mein Kollege und ich Ihnen einige Fragen stellen.«
    Rachel bewaffnet sich mit Notizblock und Stift. Ahmed kehrt zum eigentlichen Thema zurück. Er tut zumindest so, als ob. Als ob dies hier ein richtiges Verhör wäre. Als ob es nicht schon längst zu spät wäre, sich zu verstellen. Er spricht wie eine der unzähligen Figuren in seinen unzähligen, an den Wänden aufgestapelten Romanen.
    »Dann fangen wir also mit der Frage an, ob jemand bezeugen kann, dass ich gestern Abend hier war?«
    »Ganz richtig.«
    »Nein, niemand.«
    »Wir haben gestern gegen Viertel vor zehn hier geklingelt, aber niemand hat geöffnet. Warum?«
    Ahmed zeigt auf eine kleine Plastikdose neben dem Futon.
    »Ich schlafe mit Oropax.«
    Jean wirft Rachel einen Blick zu, als wolle er sagen »Dabei können wir es zunächst belassen« und wendet sich seinerseits an Ahmed.
    »Dürfen wir uns auf Ihrem Balkon umschauen?«
    »Ich ziehe nur schnell die Jalousien hoch.«
    Ahmed kurbelt die weißen Metalllamellen aus den Siebzigern hoch. Nach und nach kommt der Balkon zum Vorschein. Außer einem Topf mit einer weißen Lilie ist aber nichts zu sehen. Als Ahmed die Tür öffnet, tritt Jean hinaus, wirft einen aufmerksamen Blick nach oben und dreht sich zu dem Araber um. Seine Stimme ist schärfer.
    »Sie waren gestern Nachmittag nicht zufällig auf dem Balkon?«
    Ahmed schweigt geschlagene fünf Sekunden, als müsse er sich den Ablauf des Vortags in Erinnerung rufen.
    »Um ehrlich zu sein: Ich weiß es nicht genau. Ich habe den Tag auf meinem Futon verbracht, Kaffee und grünen Tee getrunken und Kräcker gegessen. Ich bin sicher ein paar Mal in der Küche gewesen und natürlich auch auf der Toilette. Normalerweise wache ich ziemlich früh auf. Meistens gieße ich dann meine Lilie, das bekommt ihr am besten, solange die Erde noch kühl ist. Gestern Morgen war ich gegen halb sieben auf dem Balkon. Aber danach … ich weiß nicht mehr genau. Wenn ich anfange zu lesen, verliere ich manchmal den Kontakt zu meiner Umgebung. Es kann passieren, dass mir erst abends bestimmte Dinge klar werden, die ich tagsüber in einem irgendwie halb bewussten Zustand getan habe.
    »Arbeiten Sie, Monsieur Taroudant?«
    »Ich bin krankgeschrieben.«
    »Seit wann?«
    »Seit fünf Jahren. Seit drei Jahren bekomme ich eine Erwerbsunfähigkeitsrente.«
    »Und warum?«
    »Ich leide unter einer chronischen Depression.«
    »Kann man damit nicht arbeiten?«
    »…«
    »Okay. Was haben Sie davor gemacht?«
    »Ich war Nachtwächter in einem großen Möbelhaus.«
    Die beiden Polizisten blicken sich an. Rachel und ihre großen Augen sind wieder dran.
    »Gut. Vielen Dank für Ihre Mitarbeit. Wir werden sicher noch mal wiederkommen. Wenn Ihnen noch etwas einfällt, können Sie uns jederzeit unter dieser Nummer erreichen.«
    Ahmed fragt sich flüchtig, ob er träumt: Im Blick der jungen Frau meint er die Bitte um einen Anruf erkannt zu haben. Auch ohne einen Grund. Sie notiert die Angaben auf einem Zettel, reißt ihn anschließend vom Block und reicht ihn ihm. Ahmed verstaut das Papier in seinem Portemonnaie.
    »Planen Sie in der nächsten Zeit zu verreisen?«
    »Ich verlasse das 19. Arrondissement

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