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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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würde der Sache gern nachgehen.«
    »Gut, ich glaube, ich weiß jemanden, den ich danach fragen kann. Ich halte dich auf dem Laufenden.«
    Lieutenant Kupfersteins Roller parkt gegenüber dem Bunker. Rachel wohnt im Szeneviertel des 18. Arrondissements in der Rue d’Orsel ganz in der Nähe des Théâtre de l’Atelier. Abends und am Wochenende hat sie das Bedürfnis, zu chillen und die Straßen zu vergessen, in denen sie Tag für Tag zu tun hat. Am Fuß des Montmartre-Hügels, inmitten von Touristen, Nachtschwärmern, Künstlern und Gelegenheitsarbeitern, fühlt sie sich wohl. Ihre Wohnung, ein kleines Zwei-Zimmer-Apartment mit Dachschrägen, in dem sie nur selten Besuch empfängt, ist ihre Höhle und ihre Zuflucht.
    Unterwegs fällt ihr plötzlich etwas ein. Trotz ihrer Müdigkeit macht sie einen Umweg durch die Rue Ordener und nimmt die Umgebung der Telefonzelle in Augenschein, von der aus der Mord an Laura gemeldet wurde. Irgendetwas kann da nicht stimmen. Warum hat der Anrufer einen so weiten Weg zurückgelegt? Hinzu kommt, dass er sich direkt beim Revier im 18. Arrondissement gemeldet hat. Hätte er die Notrufzentrale informiert, wäre der Anruf automatisch aufgezeichnet worden. Mit anderen Worten: Er kannte die Arbeitsweise der Polizei, was wiederum ein Grund mehr ist, der Sache genauer auf den Grund zu gehen. In der Telefonzelle stehen zwei Afrikanerinnen. Das rechte Auge der einen schmückt ein vollendetes Veilchen. Beide diskutieren ziemlich aufgeregt, reißen sich gegenseitig den Hörer aus der Hand und reden in Pidginenglisch auf ihren Gesprächspartner ein. Ein paar Schritte weiter wartet ein kleiner, magerer und sehr blasser Typ darauf, dass die Zelle endlich frei wird. In seiner rechten Hand trägt er eine Plastiktüte, in der man deutlich eine 66-Zentiliter-Flasche Heineken erkennt, deren Hals er durch die Tüte hindurch fest umklammert. Auf der anderen Straßenseite sitzen vier Algerier auf roten Getränkekisten vor einem Lebensmittelladen, unterhalten sich und beobachten dabei aus den Augenwinkeln, was sich gegenüber abspielt. Jean hat recht – irgendjemand muss den anonymen Anrufer gesehen haben. Morgen werden sie wissen, ob es Mercator gelungen ist, Enkell zu überreden, seine Männer an der Suche zu beteiligen.
    Rachel will gerade weiterfahren, als sie bemerkt, dass der kleine Trödelladen neben der Telefonzelle noch geöffnet hat. Sie ist hier schon mehrfach vorbeigekommen, hat ihn allerdings noch nie betreten. Der Eingang wird von zwei Wühltischen mit Billigkrimis fast versperrt. Bruce, OSS 117, Malko … Sie wirft einen Blick in den Laden, wo ein wildes Durcheinander von Lampen im Stil der 1950er Jahre und aus der Zeit des Art déco, alten Plattenspielern, schreiend bunten Fotokalendern aus den Siebzigern, Standaschern, Sesseln und Bänkchen herrscht. Es sind die scheußlichsten und die schönsten Stücke wilder Sammelleidenschaft. Seit Wochen schon sucht sie einen kleinen Lampenschirm aus rotem Metall, so einen, der mit einer Klemme direkt auf der Glühlampe befestigt wird. Ein solcher Lampenschirm wäre das Tüpfelchen auf dem I ihrer Einrichtung. Warum soll sie ihr Glück nicht gleich hier versuchen? Der Händler tritt ihr mit einem Glas Bier in der Hand aus dem Halbdunkel entgegen. Er ist hässlich wie die Nacht. Sosehr Rachel sich auch ermahnt, nicht nach dem ersten Eindruck zu urteilen – auf sie wirkt er wie ein zutiefst Perverser. Anzüglicher Blick, merkwürdiger Gang, zweideutiges Verhalten.
    »Suchen Sie etwas Bestimmtes?«
    »Ja, ich suche einen dieser kleinen Lampenschirme, die man mit einer Klemme auf der Birne …«
    »Nein, ich weiß nichts«, unterbricht er sie. »Das ist einer meiner wichtigsten Grundsätze: nichts zu wissen. Lampenschirme habe ich massenhaft, allerdings müsste ich das Lager ausräumen, um sie zu finden. Und Sie sehen ja«, er zeigt ihr sein Bier, »ich entspanne gerade. Der Feierabend ruft.«
    Rachel hört nur mit einem Ohr hin und blickt sich aufmerksam im Laden um. Hinter ihr steht ein Fernseher, auf dem Bildschirm ist ein weibliches Hinterteil zu sehen. Hinter der Frau bewegt sich ein Mann, der sein erigiertes Glied in der Hand hält. Jedes Mal, wenn sein Geschlecht den Po der Frau berührt, ertönt ein elektronisches Klingelzeichen, und ein Punktestand wird um einen Zähler hinaufgesetzt. Rachels Gesichtszüge sind angespannt. Sie starrt den hässlichen Mann an.
    »Oh ja, das ist nicht zu übersehen. Sie entspannen. Schönen Abend noch.«
    Als sie

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