Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
sich umdreht und den Laden verlässt, fällt ihr Blick auf ein Buch, das aus der Ramschware hervorsticht: Verführt! , von Alina Reyes. Auf dem Weg zu ihrem Roller drehen sich die Bilder in ihrem Kopf. Das abstoßende Gesicht des Händlers, die Pornos und der Roman, der im Original Le Boucher (Der Metzger) heißt. Metzger. Metzger. Vor ihrem Haus kettet sie den Roller an und beschließt, an nichts mehr zu denken. Sie steigt die sechs Etagen hinauf und schließt auf. Uff! Sorgfältig hängt sie ihre Jacke über den Kammerdiener von Habitat rechts neben der Eingangstür. Sie hat ihn im Internet erstanden, weil ihr die Anzeige so gut gefiel:
Kammerdiener Jeeves
Entworfen von Sir Terence Conran
150 Euro
Gestell aus schwarz lackiertem Eukalyptusholz zusammenlegbar
Polyurethanlack
Marmorschale für Manschettenknöpfe
Very Important Products
Ausschlaggebend war die Marmorschale für Manschettenknöpfe gewesen – wahrlich das Nonplusultra des Schicks! Rachel blickt sich um. Alles ist in bester Ordnung. Sie freut sich, dass sie vor zwei Tagen geputzt und aufgeräumt hat. Jetzt kann sie die Beine hochlegen. Aber erst einmal gönnt sie sich ein Glas Cutty Sark. Nach einer kurzen Lagavulin-Phase hat Rachel sich eingestanden, dass der teure, torfige Scotch von höchster Qualität nicht ihr Ding ist, und ist reumütig zu den gängigen, einfacheren Marken zurückgekehrt. Dazu jetzt ein paar Erdnüsse. Sie setzt sich in ihren wassergrünen Plastiksessel aus den Siebzigern und genießt. Endlich wird der Kopf frei. Eine halbe Stunde und zwei Whiskys später döst Lieutenant Kupferstein langsam ein.
Das Telefon holt sie in die Wirklichkeit zurück. Jeanteau aus Niort.
»Also, Lieutenant, die Eltern waren wirklich mehr als befremdlich. Es war, als ob das Schicksal ihrer Tochter sie nicht im Geringsten interessiert. Als hätte ich ihnen den Tod irgendeines Fremden verkündet – verstehen Sie?«
»Ich glaube schon.«
»Ich musste ihnen jede Information einzeln aus der Nase ziehen. Dabei waren sie äußerst höflich und haben mir aufmerksam zugehört, bis sie mir irgendwann mitteilten, sie wollten ja nicht unhöflich sein, aber sie müssten jetzt in den Königreichssaal. Ich nehme an, das ist ihr Gebetsraum. Mir ist es kalt den Rücken hinuntergelaufen. Als es um die Identifizierung der Leiche ging, meinte die Mutter nur: ›Laura hat den Weg des Bösen gewählt, dann soll sie jetzt auch dort bleiben. Sie kam nur noch hierher, um uns zu beschmutzen und den Unrat der Welt über uns auszuschütten …‹. Dann hat ihr Mann ihr einen sehr merkwürdigen Blick zugeworfen, und sie brach sofort ab. Ich bin nicht weiter darauf eingegangen, weil ich gespürt habe, dass ich nichts aus ihr herauskriege, solange er dabei ist. Aber komisch war dieser Satz schon. Ich hoffe, dass ich Ihnen weiterhelfen konnte. Und wenn Sie noch etwas brauchen, rufen Sie gerne an. Diese Geschichte interessiert mich allmählich.«
»Den Unrat der Welt – was mag sie damit gemeint haben?«
»Keine Ahnung, Lieutenant. Ich habe wirklich nicht den leisesten Schimmer. Aber merkwürdig war es schon, das kann ich Ihnen sagen!«
»Vielen Dank fürs Hingehen, Commissaire. Möglicherweise statte ich Ihnen in der nächsten Zeit einen kleinen Besuch ab. Wenn wir hier in Paris nicht weiterkommen, müssen wir den Unrat in Niort vielleicht mal genauer unter die Lupe nehmen. Gute Nacht!«
»Ach, da fällt mir noch etwas ein. Die Mutter hat ein verhärmtes Allerweltsgesicht, aber der Vater ist ein wirklich schöner Mann. Er sieht aus wie Robert Mitchum in Die Nacht des Jägers , wenn Sie wissen, was ich meine.«
»Ich glaube schon.«
»Natürlich ein bisschen älter. So, und jetzt nichts wie ab nach Hause. Bis zum nächsten Mal, Lieutenant Kupferstein. Und viel Glück!«
Bad, Zähne putzen, Toilette, pinkeln, Waschbecken, Hände waschen. Hose falten, Slip und BH in die Wäsche, ebenso das weiße Hemd von Yves Saint Laurent. Es ist ein Herrenhemd, das sie nach einer Liebesnacht als Kriegsbeute hat mitgehen lassen. Die Nacht hat sie unter »ferner liefen« abgehakt, aber das Hemd ist schön. Karmesinroter Schlafanzug. Rachels Bett besteht aus einem Futon mit Tatami-Matten. Die Betttücher sind so wie früher – dick und ein wenig kratzig. Sie tragen die gestickten Initialen A.V. Eine Decke braucht sie nicht, schließlich ist Sommer. Und ein Federbett schon mal gar nicht, denn das hasst sie. Rachel kuschelt sich in ihr Bett. Ihr Kopf ist zwar müde, weigert sich aber,
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