Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
einzuschlafen. Vor allem das unangenehme Gesicht des Trödlers will nicht weichen. In Gedanken sucht sie nach einem Gegenmittel. Sie denkt an Ahmed, den sie sich allein in seinem Bett vorstellt. Auch er quält sich. Er dort drüben, allein unter Lauras Wohnung. Sie hier in ihrem Schlupfwinkel. Beide wälzen sich im Bett. Dabei kommt Rachel ein alter Film von Wong Kar waï ins Gedächtnis, Fallen Angels . Gefallene Engel. Ein schöner und junger Auftragskiller arbeitet für eine ebenfalls schöne und junge Frau, die ihn auf seine Opfer ansetzt und ihn bezahlt. Sie berühren sich nie, dennoch denkt sie immer nur an ihn. Eine Split-Screen-Szene zeigt beide gemartert von ihrer Begierde in ihren schmalen Betten; die junge Frau streichelt sich selbst, um sich auf die einzig mögliche Art Lust zu verschaffen. Wer hat nochmal den Mann gespielt? Rachel kann sich nicht mehr an das Gesicht erinnern. Also kramt sie das Gesicht von Tony Leung in Der Liebhaber aus ihrem Gedächtnis. Ihr Verlangen wächst allmählich. Mit den Fingerspitzen der rechten Hand streicht sie über die Haut ihres linken Arms gleich unterhalb der Armbeuge. Sie ist zart und weich und fühlt sich gut an. Die Finger gleiten weiter den Arm hinunter bis zur Handfläche. Es ist, als berühre sie einen Mann oder als ob ein Mann sie berühre. Tony Leung bewegt sich aristokratisch elegant durch die wimmelnden Gassen und erreicht das Haus, in dem er verabredet ist. Rachel sieht, wie Jane March ihn willkommen heißt. Sie küssen sich. Nein. Jetzt nimmt Rachel den Platz der Schauspielerin ein. Ihre Hände liebkosen ihren Bauch durch das seidige Gewebe ihres Hemdchens hindurch, ehe sie sich weiter nach unten bewegen. Und noch weiter nach unten. Ihr Verlangen diktiert ihr hundert Mal wiederholte Bewegungen, die trotzdem immer wieder neu sind. Niemals gibt sie sich auf die gleiche Art hin. Manchmal kommen ihr dabei bestimmte Männer in den Sinn, manchmal nicht. Mal bewegen sich ihre Finger schneller, dann wieder langsamer. Manchmal bleiben sie an der Oberfläche, manchmal dringen sie in die Tiefe vor. Sie erfreut sich an sich selbst. Heute gefällt es ihr, die Liebkosung durch das Gewebe hindurch ein wenig zu verlängern. Sie spürt, wie sie feucht wird. Diese Feuchtigkeit – das ist sie selbst, ist ihr eigenes Leben. Nun hebt Rachel den unteren Teil ihres Pyjamas. Sie sehnt sich nach dem direkten Kontakt mit ihrer Haut. Ihre Bewegungen werden rascher und drängender. Zwei Worte gehen ihr durch den Kopf. Sie weiß nicht, woher sie gekommen sind. Worte, die einen eigenen Rhythmus in sich tragen. Den Rhythmus, den sie genau jetzt braucht. In-out. In-out. Bis zum Schluss stellt sie sich das unendlich reine Gesicht Tony Leungs vor. Den intensiven Zeitlupen-Ausdruck in der feuchten Straße in Der Klang der Liebe . Und sie löst sich in ihm auf. Dazu sind sie gut, die wahren Filmstars. Befriedigt döst Rachel vor sich hin. Ein kleiner Gedanke meldet sich noch: Ob Ahmed in seinen Fantasien Maggie Cheung vor sich sieht? Und sie muss leise lachen. Plötzlich setzt sie sich auf, knipst sie das Licht an, wühlt in ihrer Handtasche, holt ihr Spiralheft heraus und speichert die Nummern von Bintou und Aïcha in ihrem Handy. Falls tatsächlich eine der beiden morgens um drei anruft, will sie wenigstens wissen, wer es ist und sich darauf vorbereiten, ehe sie den Anruf annimmt. Sie löscht das Licht und schläft ein.
12
Jean irrt noch immer umher. Nachdem er sich im Bœuf-Couronné von Rachel verabschiedet hatte, fühlte er sich nicht in der Lage, nach Hause zu gehen. Obwohl er sehr müde ist. Er weiß, dass er ohnehin nicht vor zwei Uhr morgens zur Ruhe kommt. Er hat Lust auf Sex. Einfach so, ohne Verpflichtungen und ohne an etwas zu denken. Um zu vergessen. Sich in einer Höhle zu vergessen. Oh ja. Macho-Gedanken. Er hat kaum an die Höhle gedacht, da taucht vor seinem inneren Auge schon seine Mutter auf. Sie sagt nichts. Sie hat nur wieder diesen Gesichtsausdruck, der besagt: »So seid ihr nun mal, ihr Männer mit euren Bedürfnissen. Und wir müssen es ertragen. Wir nehmen euch so, wie ihr seid, nämlich schmutzig.« Natürlich weiß Jean, dass auch Frauen Lust auf Sex haben. Er hat schließlich so seine Erfahrungen gemacht, verdammt. Aber diese Frauen spielen in einer ganz anderen Liga – es sind leichte Mädchen und billige Frauenzimmer, die »so was« mögen …
DIE MAMA UND DIE HURE
Der Satz ist alt. Aber wie schafft man es, darüber hinwegzukommen? Na? Wie bringt man es
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