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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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das versuchen sie nun unter der schmalen Mondsichel an dem sternenklaren Junihimmel. »Wenn wir ein Liebespaar wären, würden wir jetzt gemeinsam nach einer Sternschnuppe Ausschau halten«, denkt Rachel. Aber das sind sie nicht, also begnügt sie sich damit, dem unsteten Kurs eines Satelliten zu folgen. Beide denken an unterschiedliche Dinge und verlieren sich im Himmel, ehe sie in ihr Innerstes abtauchen.
    Jean denkt an seine Mutter. Sie trägt eine karierte Schürze und hat ein scharfes Messer in der Hand, mit dem sie Zwiebeln sehr fein schneidet. Er selbst hat nie so viel Geduld. Er schneidet die Zwiebeln in grobe Ringe, die er ins simmernde Öl wirft und später mit einem Holzlöffel zerteilt, ehe er den Knoblauch direkt über der Pfanne hineinpresst. Er sieht seine Pflegemutter fast physisch vor sich, das Bild beeindruckt ihn noch immer. Vielleicht nicht mehr ganz so stark wie damals, als er mit der Nase kaum über die Arbeitsplatte reichte. Arbeitsplatte? Nannte man das damals schon so? Jeans Gedanken schweifen ab. Der Ausdruck Arbeitsplatte hat ihn aus der bretonischen Küche seiner Kindheit heraus und in einen schrecklichen Nachmittag bei Ikea hineinkatapultiert. In den einsamsten Augenblick seines Lebens. Er hatte sich unendlich verloren gefühlt inmitten all der Familien mit zu allem entschlossenen Ehefrauen, lauernden Schwiegermüttern und den entsprechenden Ehemännern, die verzweifelt um die Kontrolle kämpften, indem sie ihre besseren Hälften mit allerlei technischen Details bombardierten, die den Erwerb des ersehnten Objekts in der gewünschten Form doch für alle offensichtlich unmöglich machten. Es war ein Stellungskrieg, den Jean da durchquert hatte. Gezwungenermaßen hatte er das eine oder andere hasserfüllte Wort mithören müssen – Worte, die seine nur äußerlich abgehärtete Seele tief getroffen hatten. Sein Irrlauf hatte ihn durch ein Labyrinth von Wohnzimmermöbeln, Wickeltischen und einer der Einrichtung des Bunkers sehr ähnlichen Büroausstattung bis in die Küchenabteilung geführt – seinem ursprünglichen Ziel. Als er diese jedoch erreichte, war ihm schlagartig klar geworden, dass seine Mission zum Scheitern verurteilt war. Wortlos hatte er den kompetenten jungen Bartträger angeschaut, der ihm die Küche seiner Träume zusammenstellen sollte. Sein Kopf war wie leergefegt gewesen. Er war vom Barhocker gerutscht, hatte dem Verkäufer kurz zugenickt und im Schwedenshop im Erdgeschoss Knäckebrot, eine Tube Anchoviscreme und eine Flasche Wodka Absolut gekauft, die er bereits auf dem Heimweg in der Bahn angebrochen und zu Hause leer getrunken hatte. Dabei hatte er auf dem einzigen Teppich seiner Wohnung im 12. Arrondissement gelegen, die er drei Monate zuvor bezogen hatte und deren zwei Zimmer so leer waren, dass man sie für unbewohnt hätte halten können. Das Erwachen war mühsam gewesen, aber auch bewegend. Seither fühlt er sich jedes Mal glücklich und erleichtert, wenn er seine Kücheneinrichtung betrachtet: einen weißen Resopalschrank, der für sein Geschirr und seine Vorräte durchaus reicht. Der Gedanke daran beruhigt ihn jetzt und hilft ihm, einen Abstand zwischen sich und den Mord zu bringen. Er wird schon bald bereit sein, ihm ins Auge zu sehen.
    Rachel folgt ihrem eigenen Weg. Die Monstrosität des Verbrechens hatte zuerst jedes Gefühl in ihr ausgelöscht, und so war es ihr möglich gewesen, alle notwendigen Schritte zu erledigen. Den Tatort zu sichern, erste, wenngleich ergebnislose Verhöre durchzuführen, Neugierige zurückzudrängen. Erst während der Berichterstattung bei Mercator hatte sich der Schmerz gemeldet, ähnlich wie nach einem Zahnarzttermin, wenn die Wirkung der Spritze nachlässt. Anschließend hatte sie mit Jean ein paar Bier getrunken, herumgealbert, im Internet gesurft und Musik aus ihrer Jugend gehört. Anders wäre es gar nicht gegangen. Sie hat Distanz gebraucht. Jetzt, zu vorgerückter Stunde mitten in der Nacht, ruft sie sich ins Bewusstsein, was passiert ist, bevor sie von Jean an den Tatort gerufen wurde. Schnell überspringt sie ihr spätes Erwachen und die Tatsache, dass sie erst um Viertel nach zwölf auf dem Polizeirevier ankam, und konzentriert sich auf die wichtigeren Dinge. Kurz nach zwei war auf der Place de Fêtes eine Bande kleiner Skunk-Dealer festgenommen worden. Der Zeitpunkt des Zugriffs war schon vor einer Woche beschlossen worden und soll sich vor allem positiv auf die Statistiken des Ministeriums auswirken. Die Verkäufer,

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