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Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)

Titel: Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Karim Miské
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Mal seit vielen Jahren hat Ahmed nicht trinken müssen, um einzuschlafen. Doch sein Schlaf ist alles andere als friedlich. Der Tod, das alte Biest, reibt sich an ihm. Er widersteht ihm, er will sich nicht hingeben. Da überlässt der Tod seinen Platz schließlich einer betörenden Frau, die häufig durch Ahmeds Träume geistert. Nie kommt es zum Liebesakt. Er sieht sie nicht einmal nackt. Nur ein wenig feucht wird es manchmal. In dieser Nacht jedoch bleibt er standhaft und behält seinen Samen und seine Kraft für sich. Die Geister ziehen sich wütend zurück und verkünden ihm Schreckliches. Eisige Schatten. Wind. Peitschender Regen. Blitz. In Ahmeds Kopf spielt sich das Gleiche ab wie draußen vor dem Fenster. Er windet sich, wacht aber nicht auf. Dann fällt Licht auf das bleiche Gesicht des Mörders, und Ahmed öffnet entsetzt die Augen. Er hat das unangenehme Gefühl, das alles schon einmal erlebt zu haben, und will nur noch vergessen. Das Bild verschwindet und versteckt sich irgendwo in seinem Kopf. Ahmed weiß, dass es ihn von nun an leiten wird.
    In der Wohnung über ihm wird es laut. Die Polizei ist am Werk.
    »Was ist das denn hier für eine Sauerei? Wieso ein Schweinebraten? Hier im Viertel wohnen doch nur Juden und Araber. Die einen verrückter als die anderen. Sobald du auf die Straße trittst, hörst du nur noch: › Salam aleikum , Lieutenant‹ oder › Shalom , Monsieur le Commissaire‹. Ich weiß ja nicht, wie es dir geht, Rachel, aber ich werd hier noch verrückt. Ganz ehrlich. Und ich kapier nicht, was das mit diesem Braten soll. Das ist mir eine Nummer zu hoch!«
    Rachel kennt diese Litanei und unterbricht ihn. »Komm, wir hauen ab. Wir müssen noch den Bericht schreiben.«
    Ahmed hört und hört doch nicht. Er weiß. Die Bullen, die Polente. Schon seit langer Zeit kreuzen sich ihre Wege immer wieder einmal. Dieses Mal jedoch wird er ihnen nicht aus dem Weg gehen können. Er sieht die rothaarige Rachel und den dunklen Jean vor sich. Sie tun, was sie können, aber das ist sehr wenig. Vielleicht auch viel. Morgen muss er vor sechs Uhr seine Galabija loswerden. Und bis dahin: Gute Nacht, Lieutenant.

2
    Viertel vor vier. Wenn die Nacht ein Herz hat, dann ist es diese Stunde. Die Lieutenants Hamelot und Kupferstein rauchen geschmuggelte Zigaretten. Sie sitzen unter dem Sternenhimmel im Innenhof des »Bunkers« – der Polizeiwache des 19. Arrondissements. Hier arbeiten sie.
    Nach ihrer Ankunft hatte Mercator sie zu sich gerufen. Er hatte in seinem fast leeren, weiß gestrichenen Büro gesessen und Kreise gezeichnet. Kreise zu zeichnen ist seine Art, Zeit und Raum zu füllen. Alle Polizisten der Wache kennen diesen Spleen ihres Chefs. Sie wissen, dass man ihn dabei auf keinen Fall unterbrechen darf. Hamelot hat Kupferstein einmal darauf aufmerksam gemacht, dass Mercator immer auf die gleiche Weise vorgeht. Da ist zunächst einmal das Papier. Nie lässt der Chef sich dazu herab, seine Kreise auf das offizielle Dienstpapier zu zeichnen, er kauft sich vielmehr eigene Blöcke mit gutem, reinweißem 90-Gramm-Papier. Als Stift benutzt er ausschließlich einen Füllfederhalter der Marke Sheaffer Legacy Heritage. Auch der Rest ist immer gleich. Ein Kreis pro Blatt, immer genau in der Mitte und immer gleich groß. Die fertigen Blätter stapelt er zu seiner Rechten. Alle exakt aufeinander, kein einziges Blatt ragt heraus.
    Hinter seinem Schreibtisch aus lackiertem Ebenholz wirkt Mercator immer wie eine unbegreifliche Gottheit. Trotzdem hat man das Gefühl, dass jede seiner Handlungen einen Sinn hat. Seine geheimnisvolle Aura ist die Grundlage seiner Macht. Er ist wie ein mit Hieroglyphen beschriebener Papyrus – für jeden sichtbar, aber nicht zu entziffern. Letzteres aber reizt Jean. Als gehorsamem Sohn eines vernunftbetonten Kommunisten fällt es ihm schwer, auf das Verstehen zu verzichten. Und so sammelt er Hinweise auf die Eigentümlichkeiten seines Chefs, vertieft aber damit das Mysterium nur noch. Für Rachel hingegen besteht das Geheimnis des Chefs darin, kein Geheimnis zu haben. Sie sieht ihn eher als eine Art Zen-Meister, dessen Lehren sie gerne lauscht. Er strahlt eine unglaubliche Ruhe aus.
    Mercator hat die Figur eines Tenors. Nicht ganz so beeindruckend wie Pavarotti, aber er wirkt ausgesprochen gutmütig. Sein Körperbau entspricht in gewisser Weise seinem Charakter und der Autorität, die er ausstrahlt, und er hat durchaus einen Bezug zum wirklichen Leben. Rachel kann in Mercator lesen wie in

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