Entfliehen kannst du nie: Roman (German Edition)
Zukunft. Drei magic pills , drei Verschwörer. Eine Woche zuvor hat Susan Dov ihrem Bruder vorgestellt. Sie haben sich bei Starbucks an der Ecke First Avenue Loop getroffen. Dov bestellte einen Chai Latte mit Sojamilch. Er hatte kurz vor ihrem Treffen im Kingston Koscher-Pizza eine Pizza mit Pastrami gegessen, und da er die kaschrut sehr genau beachtet, wollte er innerhalb von acht Stunden nach dem Genuss von Fleisch kein Milchprodukt zu sich nehmen. James und Susan tranken Caffè Mocha. Die zwei Männer verstanden sich auf Anhieb, was Susan mit einer gewissen Erleichterung registrierte. James wusste schon da, dass es zwischen Dov und Susan keine sexuelle Beziehung gibt. Andernfalls hätte er sich nie zu einem Treffen bereit erklärt, denn er hasst es, die Liebhaber seiner Schwester kennenzulernen. Aus genau diesem Grund hat Susan sich angewöhnt, den Männern schon nach einem halben Tag den Laufpass zu geben. Kurzlebige Affären, ohne die Gefahr einer zu großen Bindung. James spricht nie über seine Sexualität. Susan ist der Überzeugung, dass in dieser Richtung auch nichts läuft. No life . Er verbringt ohnehin die meiste Zeit vor seinem Computer. Dabei geht es nicht nur um seine Arbeit, sondern vor allem um ihre geplante Zukunft in einem Paralleluniversum. Jetzt fehlt nur noch der große Coup, mit dem sie sich an ihrem Vater rächen werden und gleichzeitig das falsche Leben zurücklassen können, zu dem er sie zwingt. Der große Coup, den sie jetzt durchsprechen werden, bevor sie die blauen Tabletten schlucken.
Dov hat zu diesem Anlass den schwarzen Filzhut gegen eine grün-gelb-rote Jarmulke getauscht. James reißt eine Tüte Lays Flamin Hot Chips auf – garantiert ohne Schweinefleisch –, öffnet eine Flasche Seven Up, füllt drei Plastikbecher und ergreift das Wort.
»Ich fasse also zusammen: Das Produkt liegt jetzt vor. Ich habe es noch nicht selbst getestet, aber Susan hat mir die Wirkung geschildert; demnach scheint das Verkaufspotenzial bemerkenswert zu sein. Nun brauchen wir noch einen Markt. Der Verkauf sollte möglichst weit entfernt von hier erfolgen, damit man die Quelle nicht so leicht zurückverfolgen kann. Dov, du hast die für den Vertrieb notwendigen Kontakte nach Antwerpen und Paris, wir müssen also nur noch einen Weg finden, die Ware nach Europa zu bringen. Hier kommt Susan ins Spiel. Sie ist sehr talentiert und kann je nach Bedarf als Salome, Judith oder Bethsabe auftreten, wenn ich mich mit diesem Beispiel auf unsere gemeinsamen heiligen Bücher beziehen darf. Im Augenblick stattet ein hoher Würdenträger der Zeugen Jehovas aus dem Ausland unserer Zentrale einen Besuch ab. Unser Vater platzt fast vor Stolz und hat ihn uns gestern Abend als französischen Freund vorgestellt, der für eine Woche zu einem Lehrgang in der Stadt weilt. ›Ein Freund, der noch eine große Karriere vor sich hat‹, waren seine Worte. Susan hat ihm ihr charmantestes Lächeln geschenkt. Der Blick, den er ihr daraufhin zuwarf, zeigte uns, dass er trotz normalerweise strikter Beachtung aller Regeln unserer Organisation vermutlich bereit wäre, sich in dem von uns ausgelegten Netz zu verfangen. Alles Weitere ist nur noch eine Frage der Logistik, um die ich mich kümmern werde.«
James bricht seine Rede ebenso abrupt ab, wie er sie begonnen hat. Dov löst ihn ab.
»Der Rebbe hat mir bestätigt, dass die Vertriebswege in Paris weitestgehend organisiert sind. In etwa sieben bis acht Monaten verfügen wir über ein funktionierendes Händlernetz in Frankreich, Belgien und Holland. Von diesem Zeitpunkt an können wir bei einem Großhandelspreis von fünfundzwanzig Dollar pro Pille unser Ziel in einem halben Jahr problemlos erreichen.« Er wendet sich an Susan. »Sag mal, du weißt, dass ich dich mag. Bist du wirklich bereit, diese – nun ja – Rolle zu spielen? Vielleicht können wir auch anders an den Kerl herankommen.«
Susan lächelt fröhlich wie ein junges Mädchen.
»Oh, weißt du, sowas macht mir Spaß. Es ist wirklich nett, dass du dir Sorgen um mich machst, aber ich habe in dieser Hinsicht noch nie etwas getan, was ich nicht wirklich wollte. Zugegeben, er ist alt, aber das missfällt mir überhaupt nicht. Um ganz ehrlich zu sein: Es gefällt mir, diese alten Knacker ins Verderben zu stürzen, die sich allem und jedem überlegen fühlen. Sie halten sich schon für gerettet. Ich bin dazu da, ihnen ein Bein zu stellen und sie daran zu hindern, ihren Frieden zu finden. Und zwar für immer. Das ist wirklich
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