Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
Lande »Clunys Käfig« genannt wurde. Die Stämme mehrerer Bäume waren durch Flechtwerk miteinander verbunden, um ihnen festeren Halt zu geben. Der Boden hinter dieser Art Barrikade war aufgeschüttet und eingeebnet worden, um als Fußboden zu dienen. Ein aus derWand herazusragender Baumstamm bildete einen lebendigen Hauptpfeiler für das Dach. Die Wände bestanden aus Flechtwerk, das mit Moos belegt war. Die Form des Hauses erinnerte an ein riesengroßes Ei, das im Dickicht dieses steilen Hanges halb hing, halb stand und deshalb einem Wespennest im Hagedorngesträuch glich.
Drinnen war Raum genug, um fünf oder sechs Personen bequem aufzunehmen. Eine vorspringende Felsnase war geschickt zur Anlage einer Feuerstelle ausgenützt worden; der Rauch, der an der Felswand hochstieg und sich in der Farbe kaum von ihr unterschied, war von unten schwer zu sehen.
Dies war nur eines der Verstecke, die Cluny benutzte. Er hatte außerdem in verschiedenen Teilen des Landes Höhlen und unterirdische Kammern, und je nachdem, ob die Rotröcke heranrückten oder sich zurückzogen, suchte er den einen oder den anderen Unterschlupf auf.
Infolge dieser Lebensweise und dank der Liebe und Hingabe seines Clans war er nicht nur während der ganzen langen Zeit in Sicherheit gewesen, als so viele andere geflohen oder gefangen und erschlagen worden waren, sondern er hatte vier oder fünf Jahre länger in der Heimat bleiben können und sollte sich erst später auf den ausdrücklichen Befehl seines Herrn nach Frankreich begeben. Dort starb er bald darauf; und der Gedanke mutet seltsam an, daß er vielleicht Heimweh nach seinem Käfig im Ben-Alder-Gebirge gehabt hatte.
Als wir zur Tür kamen, saß er an seinem in den Felsen gehauenen Kamin und beobachtete einen Knecht, der etwas kochte oder briet. Cluny war sehr einfach gekleidet; er trug eine riesige gestrickte Nachtmütze, die er über die Ohren gezogen hatte, und schmauchte aus einer roh geschnitzten verräucherten Pfeife einen schlecht riechenden Tabak. Trotzdem hatte er eine geradezu königliche Haltung; es war höchst eindrucksvoll zu sehen, wie er aufstand, um uns zu begrüßen.
»Nun, Mr. Stuart, herein mit Euch, und bringt Euren Freund, dessen Namen ich noch nicht kenne, getrost mit.«
»Wie mag es Euch gehen, Cluny?« fragte Alan in breiter schottischer Mundart. »Ich hoffe, Ihr seid wohlauf, Sir, und ich bin stolz, Euch besuchen zu dürfen. Laßt mich Euch meinen Freund, den Laird David Balfour of Shaws, vorstellen.«
Wenn Alan mit mir allein war und meines Standes Erwähnung tat, geschah es stets etwas spöttisch, stellte er mich aber Freunden vor, dann stieß er die Titel heraus wie ein antiker Herold.
»Tretet ein ihr beiden Herren«, sagte Cluny,»und seid willkommen in meinem Haus. Es ist ein seltsam ungehobeltes Bauwerk, aber ich habe darin schon eine Person königlichen Ranges empfangen; zweifellos wißt Ihr, wen ich meine, Mr. Stuart. Erst laßt uns ein Glas Branntwein auf gutes Gelingen unserer Pläne leeren, und sobald dieser Tölpel von Knecht das Fleischgericht zubereitet hat, werden wir speisen und sodann, wie es sich für Männer unserer Art geziemt, ein Spielchen machen.«
Während Cluny uns diese Ansprache hielt, schenkte er jedem von uns einen Becher Branntwein ein.
»Mein Leben ist ein wenig eintönig«, fuhr er fort. »Ich sehe selten Gäste bei mir und sitze meist hier und drehe die Daumen; dabei erinnere ich mich dann der vergangenen großen Zeiten und ersehne die guten, die da kommen sollen und die wir alle erhoffen und die, so meine ich zuversichtlich, nicht mehr lange auf sich warten lassen werden. Also, auf Euer Wohl und auf die Restauration!«
Nach diesen Worten stießen wir miteinander an und leerten unsere Becher. Ich wünschte König Georg gewiß nichts Schlechtes und meine, er hätte, wäre er hier zugegen gewesen, sicherlich genauso gehandelt wie ich. Kaum hatte ich den Alkohol hinuntergekippt, als ich mich auch schon erheblich wohler fühlte. Ich konnte mich umsehen, konnte zuhören. Alles war noch ein bißchen verschwommen, aber das Grauen und die tiefe Niedergeschlagenheit hatten sich gegeben.
Gewiß, es war ein merkwürdiger Ort, und unser Gastgeber war ein merkwürdiger Mann. Cluny, der lange Zeit in der Verborgenheit hatte leben müssen, war etwas pedantisch in seinen Gewohnheiten geworden, etwa wie eine alte Jungfer. Er hatte seinen Sessel, auf den sich kein anderer setzen durfte. Im Käfig war alles auf besondere Weise hergerichtet,
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