Entführt: Die Abenteuer des David Balfour I (Spannend erzählt) (German Edition)
fürchtete. Ich lag da und blickte dem Mann, der mich niedergestoßen hatte, ins Gesicht. Ich kann mich erinnern, daß die Sonne dieses Gesicht nahezu schwarz gebrannt hatte und daß die Augen darin sehr hell waren. Aber Angst hatte ich, wie gesagt, nicht vor ihm. Ich hörte, wie Alan sich im Flüsterton auf gälisch mit einem anderen unterhielt. Aber was sie miteinander sprachen, war mir völlig gleichgültig.
Dann wurden die Dolchmesser wieder weggesteckt und uns die Waffen abgenommen. Darauf saßen wir im Heidekraut beieinander.
Alan sagte zu mir: »Das sind Clunys Leute. Besser hätten wir es gar nicht treffen können«, meinte er noch; wir brauchten also nur ruhig hier bei diesem Vorposten zu bleiben, bis Cluny von unserem Eintreffen in Kenntnis gesetzt worden war.
Cluny Macpherson, der Häuptling des Vourich-Clans, war vor sechs Jahren einer der Anführer des großen Aufstandes gewesen. Auf seinen Kopf war ein Preis ausgesetzt worden, und ich hatte geglaubt, er sei längst mit den anderen Führern der Rebellenpartei nach Frankreich geflüchtet. So müde ich war, die Überraschung über des Gehörte machte mich halb wach.
»Was?« schrie ich, »Cluny ist noch hier?«
»Ja, das ist er«, sagte Alan, »er ist in seiner Heimat und bei seinem Clan geblieben. Dagegen kann König Georg nichts machen.«
Ich hätte wohl noch mehr Fragen gestellt, aber Alan schnitt mir das Wort ab. Er sagte: »Ich bin sehr müde, David, und möchte gern schlafen.«
Damit verbarg er das Gesicht im Heidekraut und war sofort eingeschlummert.
Mir war das nicht möglich. Gewiß hat der Leser zur Sommerszeit im Grase schon einmal Grillen zirpen hören. Dann wird er sich vorstellen können, wie mir zumute war, als ich die Augen schloß; mein ganzer Körper, vor allem aber mein Kopf, mein Leib und meine Handgelenke schienen mit zirpenden Grillen angefüllt. Ich riß die Augen wieder auf, warf mich hin und her, setzte mich hoch, ließ mich wieder zurückfallen, blickte zum Himmel empor, bis mir ganz schwindlig wurde; dann fiel mein Blick wieder auf Clunys wilde zerlumpte Wachposten, die über den Bergrand spähten und leise in gälischer Mundart miteinander schwatzten.
Das war mein ganzes Ausruhen, bis der Bote zurückkam und es hieß, Cluny wolle uns sprechen. Wir mußten aufstehen und wieder weiterwandern. Alan war von seinem Schlaf erfrischt, allerdings sehr hungrig; aber in der Vorfreude auf einen Schluck Schnaps und eine Schüssel mit gebratenen Fleischscheiben, wovon ihm der Bote anscheinend erzählt hatte, in bester Laune, während mir bei dem bloßen Gedanken, etwas essen zu sollen, übel wurde. Wenn ich vorher an einer Zentnerlast geschleppt hatte, empfand ich jetzt eine beängstigende Leichtigkeit, die mich beim Gehen genauso behinderte. Ich trieb wesenlos dahin wie Sommerfäden in der Luft, ja, ich ging wie auf Wolken, und während der Felsenboden unter meinen Füßen wie ein Federkissen nachzugeben schien, traf mich die Luft wie eine reißende Strömung, die mich willenlos hin und her zerrte. Dazu kam ein Grauen, eine Art Verzweiflung; ich konnte mich nicht davon befreien, und vor lauter Hilflosigkeit hätte ich weinen mögen.
Ich merkte, daß Alan mich stirnrunzelnd anblickte, und nahm an, er sei zornig. Das löste bei mir jedoch nur geringe Besorgnis aus, wie sie vielleicht ein Kind empfinden mag, das fürchtet, gescholten zu werden. Ich erinnere mich, daß ich etwas töricht lächelte und es nicht unterdrücken konnte, so sehr ich mich auch bemühte; denn ich hatte das Gefühl, es sei ganz unpassend. Aber mein guter Kamerad hatte nichts anderes im Sinn als gütiges Verstehen. Im nächsten Augenblick fühlte ich mich von den kräftigen Armen wenigst zweier Kerle hochgehoben, und dann wurde ich unglaublich schnell, wenigstens schien es mir so (in Wirklichkeit wird es ganz langsam gegangen sein? durch ein wahres Labyrinth von Schluchten und düsteren Talsenken bis ins Herz des finsteren Ben-Alder-Gebirges getragen.
XXIII. Clunys Käfig
Schließlich kamen wir zum Saum eines Waldes, der den zerklüfteten Hang bedeckte und von einer steil in den Himmel ragenden kahlen Felswand gekrönt wurde.
»Dort ist es«, sagte einer der Führer, und nun ging es den Berg hinan.
Die Bäume klammerten sich im Geröll fest wie Matrosen in den Schiffswanten; ihre Stämme glichen Leitersprossen, an denen wir in die Höhe klommen.
Ganz oben auf dem Gipfel, dort, wo die Felswand das Laubwerk überragte, lag das seltsame Bauwerk, das im ganzen
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