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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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gestanden, als mir ein Junge, dem Aussehen nach einer von den Bettlern, die immer in Kirchenvorhallen herumlungern, einen Zettel zusteckte, und ich mußte dem grindigen Bengel auch noch fünfzehn Kopeken aus eigener Tasche in die Hand drücken. Mademoiselle und ich beugten uns, die Köpfe dicht beieinander, über das Papier (ich nahm wieder den leichten Duft von »Graf Essex« wahr) und lasen eine einzige kurze Zeile: »L’église de Ilya Prorok.« Ich wußte nicht, wo diese Kirche war, doch Mademoiselle, die sich alle Straßen und Gassen der Umgegend eingepaukt hatte, zog mich entschlossen hinter sich her.
    Ein paar Minuten später hatten wir die kleine Kirche erreicht. Vor dem Nebenhaus wartete eine schwarze Kutsche mit verhängten Fenstern, sehr ähnlich jener, die ich vor einer Woche gesehen hatte, doch ich kann mich nicht verbürgen, ob es dieselbe war. Vom Bock sprang ein hochgewachsener Mann mit tief ins Gesicht gezogenem Hut, so daß nur derdichte schwarze Bart zu sehen war. Wortlos öffnete er den Wagenschlag und stieß Mademoiselle hinein.
    Ich zeigte das Bündel mit der Kugel und sagte mit rauher Stimme den vorbereiteten Satz: »Das ist das Tauschobjekt. Nicht berühren.«
    Ich weiß nicht, ob er mich verstand, jedenfalls rührte er die Kugel nicht an. Er ging in die Hocke und tastete mit beiden Händen flink meinen ganzen Körper ab, genierte sich auch nicht, die geheimsten Stellen zu berühren.
    »Erlauben Sie, Herr …«, empörte ich mich, aber da war die Visitation schon vorbei.
    Der Bärtige stieß mich schweigend in den Rücken, ich stieg ein, und die Tür schlug zu. Ein Riegel knirschte. Dann schaukelte der Wagen, und wir fuhren los.
    Es verging mindestens eine halbe Stunde, bevor wir miteinander sprachen. Den Anfang machte Mademoiselle, denn ich wußte nicht, wie ich beginnen sollte.
    »Seltsam«, sagte sie, als sich in einer Kurve die Kutsche zur Seite neigte und wir mit den Schultern aneinanderstießen. »Seltsam, daß er misch eute nischt versucht at.«
    »Was?« fragte ich verwundert.
    »Was heißt perquisitionner?«
    »Ah, durchsucht.«
    »Oui, danke. Seltsam, daß er misch nischt durchsucht at. Sonst er at es getan. Wenn isch das gewußt ätte, isch ätte eine kleine Pistole in die Pantalons versteckt.«
    Ich erlaubte mir, mich zu ihrem Ohr herabzubeugen und zu flüstern: »Wir haben eine bessere Waffe.« Dabei pochte ich mit der Hand auf die Bombe.
    »Vorsischt!« ächzte Mademoiselle. »Isch abe Angst!«
    Frau bleibt eben Frau, auch wenn sie noch so mutig ist.
    »Nicht doch«, beruhigte ich sie. »Solange der Zünder nicht scharf ist, brauchen Sie keine Angst zu haben.«
    »Ich muß ständig an die zweite Überraschung von Monsieur Fandorin denken«, sagte Mademoiselle plötzlich auf französisch, und ihre Stimme bebte. »Vielleicht besteht sie darin, daß die Bombe in jedem Fall explodiert und uns und Doktor Lind und auch Seine Hoheit in Stücke reißt, und den Stein klauben sie dann, wie Monsieur Fandorin sagte, aus den Trümmern. Dem Zaren kommt es vor allem darauf an, den ›Orlow‹ zu behalten und Aufsehen zu vermeiden. Und Monsieur Fandorin kommt es darauf an, sich an Doktor Lind zu rächen. Was denken Sie, Athanas?«
    Ihr Verdacht kam mir ungemein glaubwürdig vor, aber nach einigem Nachdenken antwortete ich: »Dann hätte man uns nicht den echten Stein mitgegeben, sondern eine Imitation. Die brauchte man nicht in den Trümmern zu suchen.«
    »Woher wissen Sie, daß in der Kugel der echte ›Orlow‹ ist?« fragte sie nervös. »Wir beide sind schließlich keine Juweliere. Wenn Sie auf den Knopf drücken, geht die Bombe sofort hoch! Das ist die versprochene Überraschung, die wir keinesfalls wissen durften.«
    Mir wurde innerlich kalt, denn Mademoiselles Vermutung war allzu einleuchtend.
    »Dann ist das unser Schicksal«, sagte ich und bekreuzigte mich. »Sollten Sie recht haben, so wurde die Entscheidung ganz oben getroffen, und ich werde meine Pflicht erfüllen. Aber Sie müssen nicht in die Kapelle mitkommen. Wenn wir da sind, werde ich dem Kutscher sagen, daß Ihre Anwesenheit überflüssig ist, daß ich den Großfürsten allein hole.«
    Mademoiselle preßte meine Hand.
    »Ich danke Ihnen, Athanas. Sie haben mir den Glauben anmenschliche Hochherzigkeit zurückgegeben. Nein, nein, ich gehe mit Ihnen. Ich schäme mich, daß ich Erast des Verrats verdächtigt habe. Er kann einen Stein, selbst einen so einzigartigen, nicht höher schätzen als das Leben eines Kindes. Und auch

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