Entführung des Großfürsten
Argument, das ihn beeindruckt. Das ist sozusagen unsere kleine Überraschung.«
»Aber die Bombe ist doch nicht echt?« vermutete ich.
»Ich versichere Ihnen, e-echter geht es nicht. Die Ladung besteht aus einem Knallgemisch, das von Chemikern des Kaiserlichen Minen- und Artillerielaboratoriums entwickelt wurde. Die Kommission der Artilleriehauptverwaltung hat das Gemisch wegen seiner enormen Sprengkraft nichtgenehmigt. Wenn Sie beim Einsteigen in die K-Kutsche durchsucht werden, dann sagen Sie, daß die Kugel das Futteral für den ›Orlow‹ ist, und erlauben auf keinen Fall, daß sie geöffnet wird. Sollte man dennoch darauf bestehen, lehnen Sie die Fahrt ab. Übrigens, wenn Sie wieder der stumme Kutscher abholt, ist eine Diskussion wenig wahrscheinlich.«
Fandorin nahm die Kugel in die Hände und klappte mit dem Fingernagel ein kaum sichtbares Deckelchen hoch.
»Der ›Orlow‹ ist tatsächlich in der Kugel, in einer extra Kammer. Wenn Sie ihn herausnehmen wollen, um ihn überprüfen zu lassen, dann drücken Sie hier, damit setzen Sie den Mechanismus in Gang. Tun Sie das aber keinesfalls in der Kutsche – eine Erschütterung könnte die Explosion auslösen. Und nachdem Sie den Knopf gedrückt haben, erklären Sie Lind oder seinen Leuten, was für ein Spielzeug das ist.«
Ich warf einen Blick in das Kugelinnere. In einer runden Aussparung lag, diffuses bläuliches Licht verströmend, die unschätzbare Reliquie des Hauses Romanow. Von nahem glich der wunderbare Stein einem geschliffenen Kristallgriff, ähnlich denen, welche die Kommode im Ankleidezimmer Ihrer Hoheit schmücken. Aber noch mehr beeindruckte mich der rote Metallknopf, der vor dem Hintergrund des roten Samtes kaum zu sehen war.
Ich wischte mir den Schweiß von der Stirn und sah Emilie an. Im Falle eines Mißerfolgs oder eines Fehlers meinerseits würden wir zusammen umkommen, und die Einzelteile unserer Körper würden sich vermischen. Sie nickte mir ruhig zu, als wollte sie sagen: Ich glaube an Sie, alles wird gut ausgehen.
»Aber was weiter?« fragte ich. »Lind wird nicht in die Luft fliegen wollen, das ist sicher, darum wird er die Spielregelneinhalten. Er übergibt uns den Großfürsten und verschwindet durch einen Geheimgang. Und der ›Orlow‹ ist für immer verloren.«
»Das darf unter keinen Umständen geschehen!« mischte sich zum erstenmal Karnowitsch ins Gespräch. »Denken Sie daran, Herr Fandorin, Sie haben mit Ihrem Kopf für den ›Orlow‹ gebürgt.«
Fandorin tat, als habe er Karnowitschs Einwurf nicht gehört, und sagte lächelnd zu mir: »In diesem Fall, Sjukin, habe ich für Lind noch eine Überraschung.«
Doch das Lächeln, das in der Situation wirklich unangebracht war, verschwand sofort wieder und machte einem verwirrten, ja betretenen Ausdruck Platz.
»Emilie, Afanassi Stepanowitsch … Das Risiko, das Sie eingehen, ist z-zweifellos sehr groß. Lind verfügt über einen paradoxen Verstand, seine Handlungen und Reaktionen sind häufig unvorhersehbar. Plan hin, Plan her, es kann trotzdem alles mögliche passieren. Und Sie, Emilie, sind eine Dame und nicht mal russische Staatsangehörige …«
»Das Risiko macht misch nichts. Wir müssen den kleine Prinz retten«, sagte Mademoiselle mit erhabener Würde. »Aber wir, isch und Monsieur Sjukin, fühlen uns mehr sicher, wenn wir wissen, was für eine surprise Sie noch ausgedacht aben.«
Fandorin schloß vorsichtig das goldene Deckelchen, und das bläuliche Strahlen, das über den Tisch flirrte, erlosch.
»Besser, Sie wissen es nicht. Es muß auch für Sie b-beide unverhofft sein. Sonst könnte alles schiefgehen.«
Merkwürdig – zu zweit in der dunklen, von der Außenwelt abgeschnittenen Kutsche, sprachen wir lange kein Wort. Ichlauschte dem gleichmäßigen Atem von Mademoiselle und konnte in dem Grade, wie sich die Augen an die Finsternis gewöhnten, ihre dunkle Silhouette immer besser sehen. Gern hätte ich ihre Stimme gehört, ihr etwas Aufmunterndes gesagt, doch wie gewöhnlich fand ich nicht die richtigen Worte. Auf meinen Knien lag die Metallkugel, und obwohl der Zünder noch nicht aktiviert war, hielt ich die Höllenmaschine mit beiden Händen fest.
Ich hatte umsonst gefürchtet, daß es mit Linds Mittelsmann Ärger wegen des gewichtigen runden Bündels geben würde. Doch die erste Etappe der Operation war reibungslos verlaufen, oder um es volkstümlich zu sagen, wie geschmiert.
Mademoiselle und ich hatten noch keine fünf Minuten in der Kirche
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