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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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hinzuwerfen, komme was wolle.
    »Nein, er lebt!« hörte ich. »Aber es geht ihm schlecht!«
    Ich kann nicht wiedergeben, was für eine Erleichterung ich in diesem Augenblick empfand: Natürlich, Seine Hoheit ist erkältet, verletzt, von Opium benebelt, aber er lebt.
    Der Juwelier streckte die Hand aus.
    »Geben Sie den Stein. Gleich wird Ihre Begleiterin das Kind heraufbringen.«
    »Erst wenn sie oben sind«, murmelte ich und wurde mir plötzlich bewußt, daß ich keine Ahnung hatte, wie ich mich weiter verhalten sollte – in Fandorins Instruktionen war davon nicht die Rede gewesen. Den Stein geben oder nicht?
    Plötzlich war der oben gebliebene Leibwächter mit einem unglaublichen Sprung bei mir und preßte meine Hände, die die Kugel hielten. Es war nur ein ganz leichter Stoß, und der Zündmechanismus wurde nicht ausgelöst, aber der Brillant fiel aus seiner Nische und hüpfte klappernd über den Boden. Der Juwelier hob ihn auf und steckte ihn in die Tasche.
    Mit dem Leibwächter zu kämpfen wäre unsinnig gewesen, zumal sich von hinten der schwarzbärtige Kutscher näherte, von dessen unmenschlicher Kraft ich bereits eine Kostprobe bekommen hatte. Mein Gott, ich hatte alles verdorben!
    »Das ist Überraschung Nummer zwei«, flüsterte mir der Taubstumme ins Ohr und hieb im selben Moment dem Banditen die Faust gegen die Stirn, wie mir schien, nicht sehr kräftig, doch der Deutsche verdrehte die Augen, lockerte den Griff seiner Pranken und sank zu Boden.
    »Gut festhalten«, sagte der Kutscher mit der Stimme Fandorins.
    Mit einem Satz war er bei dem Juwelier, preßte ihm mit einer Hand den Mund zu und hielt ihm mit der anderen ein Stilett unters Kinn.
    »Taissez-vous! Un mot, et vous êtes mort! 25 Sjukin, schalten Sie den Zünder aus, wir brauchen die Bombe nicht mehr.« Die Geschwindigkeit der Ereignisse machte mich benommen, so daß ich mich über die Verwandlung des Kutschers in Fandorin überhaupt nicht wunderte – viel mehr verblüffte mich, daß er gar nicht mehr stotterte.
    Gehorsam zog ich mit dem Fingernagel den Knopf hoch.
    »Rufen Sie hinunter, daß Sie den Stein haben und daß man das Kind freilassen soll«, sagte Fandorin leise auf französisch.
    Der Juwelier klapperte unnatürlich schnell mit den Augen – nicken konnte er nicht, dann hätte er sich selbst das Messer in den Hals gebohrt.
    Fandorin nahm die Hand vom Mund des Mannes, ließ aber das Messer an seinem Kinn.
    Der Gefangene mümmelte und leckte sich die Lippen, warf dann den Kopf zurück, als wollte er an der Zimmerdecke etwas erkennen, und schrie plötzlich: »Alarme! Fuiez-vous!« 26
    Er wollte noch etwas rufen, doch die schmale Stahlklinge drang zwischen Kehle und Kinn bis zum Heft in ihn ein, und er röchelte. Ich stöhnte auf.
    Der Juwelier war noch nicht zu Boden gefallen, als sich aus der Luke ein Kopf schob, offenbar der Bandit, der mit Mademoiselle hinuntergestiegen war.
    Fandorin stürzte zu der Öffnung und verpaßte dem Mann einen Tritt ins Gesicht. Es war zu hören, wie der Körper unten aufschlug, und Fandorin sprang, ohne eine Sekunde zu zögern, hinterher.
    »Mein Gott!« entfuhr es mir. »Herr im Himmel!«
    Gepolter drang herauf, Schreie auf deutsch und auf französisch.
    Ich bekreuzigte mich mit der goldenen Kugel, lief zu der Öffnung und spähte hinunter.
    Ich sah ein wüstes Handgemenge: Ein Riesenkerl mit einem Messer in der Hand hatte sich über Fandorin gewälzt, und noch weiter unten lag unbeweglich der Leibwächter. Fandorin versuchte dem Gegner das Messer zu entwinden: Er preßte dem Mann das Handgelenk zusammen und griff mit der anderen Hand nach dessen Kehle, bekam sie aber nicht zu fassen. Ich mußte den ehemaligen Staatsrat wohl retten.
    Auf den Hinterkopf des Hünen zielend, warf ich die Bombe hinunter und traf vorzüglich – ein schmatzender Laut war zu hören. Einem gewöhnlichen Menschen hätte ich zweifellos den Schädel gespalten, aber der hier senkte nur ein wenig den Kopf. Das gab Fandorin jedoch die Möglichkeit, ihn an der Kehle zu packen. Ich sah nicht, was seine Finger taten, aber ich hörte ein ekelhaftes Knirschen, und der Kerl fiel zur Seite.
    Rasch stieg ich hinunter. Fandorin war schon auf die Beine gesprungen und sah sich nach allen Seiten um.
    Wir befanden uns in einem quadratischen Raum, dessen Ecken in der Finsternis verschwammen. In der Mitte ragte ein moosbewachsener Grabstein, auf dem eine Öllampe brannte.
    »Wo ist sie?« stammelte ich. »Wo ist Seine Hoheit? Wo ist Lind?«
    An

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