Entführung des Großfürsten
Kutscher ein Zeichen, hinauszugehen.
Der Kutscher nickte, rührte sich jedoch nicht von der Stelle.
Der Leibwächter zeigte wütend mit dem Finger auf die Tür.
Der Kutscher verschränkte die Arme vor der Brust.
»Taubstummer Dickkopf!« schimpfte der Lulatsch auf deutsch.
Ach, darum hatte sich der Kutscher zu uns so merkwürdig benommen. Jetzt begriff ich auch, weshalb Lind keine Angst davor hatte, daß der Bärtige der Polizei in die Hände geriet.
Der zweite Leibwächter sagte, ebenfalls auf deutsch: »Hol ihn der Teufel. Soll er bleiben. Er ist eben auch neugierig.«
Aber da streckte der grauhaarige Herr gebieterisch die Hand nach dem Bündel aus, und mir war klar, daß es nun ums Ganze ging.
»Haben Sie ihn mitgebracht? Geben Sie her«, sagte er mit matter Stimme auf französisch.
Ich ließ das Tuch zu Boden fallen und öffnete das Deckelchen der Kugel. Der Stein erstrahlte in seinem Samtnest in trägem, gedämpftem Glanz.
Jedes Wort deutlich artikulierend, erklärte ich die Überraschung und die Bedingungen des Tausches. Zum Glück zitterte meine Stimme kein einziges Mal. Lind sollte wissen – wenn es darauf ankam, hatte ich keine Angst.
Er hörte zu, ohne mich zu unterbrechen, und nickte, als handle es sich um etwas ganz Selbstverständliches. Ungeduldig mit den Fingern schnipsend, sagte er dann auf deutsch: »Schön, schön. Geben Sie her, ich prüfe ihn.«
Und er zog eine kleine, messinggefaßte Lupe aus der Tasche.
Also war das nicht Lind, sondern der Juwelier, wie Fandorin vorausgesagt hatte. Ich ergriff mit zwei Fingern den öligglatten Stein, der sich willig und irgendwie behaglich in meineHand legte, als sei er für sie geschaffen. Mit der anderen Hand drückte ich vorsichtig die Bombe an die Brust.
Der Juwelier nahm den Brillanten und trat zu einer der Lampen. Die Leibwächter, oder was sie nun sein mochten, umstanden den Meister und schnauften laut, als die Facetten des »Orlow« in unerträglichem Glanz aufflammten.
Ich drehte mich zu Mademoiselle um. Sie stand unbeweglich, die Finger ineinander verkrampft. Mit hochgezogenen Brauen blickte sie auf die Kugel, und ich nickte beruhigend: keine Sorge, ich lasse sie nicht fallen.
Das Licht der Öllampe reichte dem Juwelier nicht, er holte eine kleine elektrische Lampe hervor und drückte auf eine Feder. Ein dünner heller Strahl berührte den Brillanten, und ich kniff die Augen zu – der Stein schien Funken zu sprühen.
»Alles in Ordnung«, sagte der Juwelier leidenschaftslos, wieder auf deutsch, und steckte die Lupe in die Tasche.
»Geben Sie den Stein zurück«, forderte ich.
Als er meiner Forderung nicht nachkam, streckte ich drohend beide Hände mit der geöffneten Kugel vor.
Der Juwelier zuckte die Achseln und legte den Brillanten in sein Nest.
Von dem Erfolg ermuntert, hob ich die Stimme: »Wo ist Seine Hoheit? Laut Abmachung müssen Sie ihn nun unverzüglich herausgeben!«
Der Schmallippige zeigte mit dem Finger auf den Steinfußboden, und ich bemerkte erst jetzt eine quadratische schwarze Falltür mit einem Eisenring.
»Wer braucht schon den Jungen. Nehmen Sie ihn, solange er noch nicht krepiert ist.«
Aus dem Munde dieses respektablen Herrn klang das grobe Wort, bezogen auf ein kleines Kind, so schrecklich, daßich zusammenzuckte. Mein Gott, was waren das für Menschen!
Mademoiselle sog geräuschvoll Luft ein, stürzte zu der Falltür und zog aus aller Kraft an dem Ring. Der Deckel hob sich ein wenig und fiel mit dumpfem metallischem Knall wieder herunter. Keiner von den Schlagetots rührte sich, um der Dame beizuspringen. Emilie blickte sich verzweifelt nach mir um, aber ich konnte ihr nicht zu Hilfe kommen – dazu hätte ich die Kugel ablegen müssen.
»Aufmachen!« schrie ich drohend auf deutsch und hob die Bombe höher.
Mit deutlichem Unwillen schob einer der Banditen Mademoiselle beiseite und zog mühelos, mit einer Hand, den Deckel hoch.
Die Öffnung war nicht schwarz, wie ich erwartet hatte, sondern von flackerndem Licht erfüllt. Wahrscheinlich brannte da unten auch eine Öllampe. Es roch nach Schimmel und Feuchtigkeit.
Armer Michail Georgijewitsch! Hatte er etwa all die Tage in diesem Loch verbringen müssen?
Mademoiselle raffte die Röcke und stieg hinab. Ein Leibwächter folgte ihr. Ich fühlte ein Pochen in den Schläfen.
Von unten drangen Stimmen herauf und dann Emilies gellender Schrei: »Mon bébé, mon pauvre petit! Tas de salauds!« 24
»Ist Seine Hoheit tot?« brüllte ich, bereit, die Bombe
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