Entführung des Großfürsten
es eine Polizeimütze war.
»Ihnen fehlt der Säbel«, bemerkte ich. »Ein Polizeioffizier muß einen Säbel haben.«
»Kommt noch. E-Etwas später.« Fandorin zog mich am Arm mit sich fort. »Schnell, Sjukin, schnell!«
Es widerstrebte mir, die gediegene Uniformjacke auf die Erde zu werfen, und ich hängte sie an die Klinke eines Tors – vielleicht kam sie noch jemandem zugute.
Fandorin drehte sich im Laufen um und rief: »Der Orden!«
Ich nahm den Wladimir-Orden ab und steckte ihn in die Tasche.
»Wo müssen wir denn hin?« rief ich.
Keine Antwort.
Wir liefen aus der Gasse zurück in die Mjasnizkaja, doch direkt vor dem Postamt bogen wir zu einem Tor ab. Dahinter war ein schmaler Steinhof, auf den etliche Behördentüren gingen.
Fandorin zog mich in eine Ecke, hinter große Müllkisten, die mit braunem Packpapier und Bindfaden vollgestopft waren, und sah auf seine Uhr.
»Neun Minuten nach n-neun. Er ist bestimmt noch drin.«
»Wer
er
?« fragte ich, schweratmend. »Lind?«
Fandorin schob die Hand in eine Müllkiste und zog ein schmales langes Bündel heraus. Darin war ein Polizeisäbel samt Portepee.
»Unser Bekannter vom Poste restante. Das ist er, haben Sie das nicht begriffen?«
»Er – ist Doktor Lind?« fragte ich verblüfft.
»Nein, er ist ein Mann von Lind. Alles ist viel einfacher, als ich d-dachte. Auch das Rätsel mit den Briefen ist gelöst. Jetzt weiß ich, wie die Briefe ohne Stempel in die Eremitage gelangten. Der Postangestellte, der für Lind arbeitet, nennen wir ihn der Kürze halber Postler, hat sie einfach in den Postsack für das Kalugaer Viertel gesteckt. Auch unser heutiger Brief ist sofort in seine Hände gelangt. Als er b-bemerkte, daß Sie um den Schalter herumstrichen, hat er Lind benachrichtigt, und der hat seine Leute geschickt, die draußen geduldig auf Sie g-gewartet haben. Genauer, sie haben auf Fandorin gewartet, denn sie dachten ja, daß ich es bin.«
»Aber … Aber wie sind Sie darauf gekommen?«
Er lächelte selbstgefällig.
»Ich habe in der Teestube gegenüber vom Postamt gesessen und gewartet, daß Sie nach dem Mann herauskommen, der den B-Brief abgeholt hat. Die Zeit verging, aber Sie kamen nicht. Ich fand es sonderbar, daß Lind so lange zögerte. Er ist doch an der Begegnung nicht weniger interessiert als ich. Niemand, der das Postamt betrat, hat sich dort lange aufgehalten, ich habe keine verdächtige Person bemerkt.Interessant wurde es, als die beiden Ihnen bereits bekannten Herren eintrafen, das war um dreiviertel vier. Sie kamen zusammen und trennten sich vor der Post. Der eine betrat die Teestube und verlangte auf deutsch einen Tisch am Fenster. Er interessierte sich nur für die Tür des Postamtes und ließ sie keinen Moment aus den Au-Augen. Der andere ging kurz in das Postamt und setzte sich dann zu dem ersten in die Teestube. Das bedeutete, daß Linds Männer Sie entdeckt hatten, sich aber nicht für den Inhalt des Briefes interessierten. Ich dachte ziemlich lange darüber nach und hatte schließlich eine H-Hypothese. Kurz vor Schließung des Postamtes habe ich sie überprüft. Ist Ihnen aufgefallen, wie der Postler mich anstarrte, als ich mich als Besitzer der bewußten Banknote ausgab? Das kam für ihn völlig unerwartet, denn er wußte, daß es den nicht gibt. Er konnte seine Mimik nicht beherrschen und verriet sich damit. Es ist anzunehmen, daß er der russische Gehilfe des Doktors ist, der auch das Inserat in die Zeitung gesetzt hat. Er wird uns zu Lind führen.«
»Und wenn er, beunruhigt von dem Auftauchen des rätselhaften Bootsmanns, schon zu Lind gelaufen ist, um ihn zu warnen?«
»Sagen Sie, Sjukin, haben Sie schon einmal einen p-postlagernden Brief erhalten? Nein? Das merkt man. Die Post bewahrt den Brief oder das Päckchen drei Tage kostenlos auf, danach kostet es Geld.«
Ich dachte über diesen Umstand nach, fand aber keinen Zusammenhang mit der von mir geäußerten Befürchtung.
»Ja und?«
»Folgendes.« Fandorin seufzte geduldig. »Ein Postangestellter, der Geld einnimmt, muß exakt abrechnen. Unser F-Freund kann nicht gehen, bevor er das Geld in der Kassegezählt und übergeben hat, das sähe zu verdächtig aus. Die Tür dort ist der Dienstausgang. In fünf, höchstens zehn Minuten wird der Postler dort herauskommen und auf schnellstem Wege zu Lind gehen. Wir werden uns an seine Fersen heften. Ich hoffe sehr, daß der D-Doktor keine weiteren Gehilfen mehr hat. Ich habe sie alle satt.«
»Weshalb haben Sie den Deutschen
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