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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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sie? Wie sehen sie aus? Was wissen wir über sie?«
    Ich zuckte die Achseln.
    »Nichts.«
    »Leider ist das wirklich so. Als ich in das Grabgewölbe hinuntersprang, konnte ich nichts erkennen. Wie Sie sich vielleicht erinnern, hat sich sofort dieser schwergewichtige Herr auf mich gestürzt, d-dem ich die Halsarterie zudrücken mußte. Während ich mit ihm beschäftigt war, konnte sich Lind zurückziehen, und sein Inkognito blieb gewahrt. Dennoch, was wollte uns Emilie über ihn mitteilen? ›Es ist …‹«
    Er runzelte mißmutig die Stirn. »Was sollen wir raten. Über die K-Komplizen läßt sich nur eines sagen. Einer von ihnen ist Russe oder er hat zumindest viele Jahre in Rußland gelebt, er beherrscht unsere Sprache perfekt.«
    »Wie kommen Sie darauf?«
    Fandorin sah mich bedauernd an.
    »Der Text der Anzeige, Sjukin. Was meinen Sie, hätte ein Ausländer ›demantenes Kleinod‹ geschrieben?«
    Er erhob sich und ging im Zimmer auf und ab. Dabei ließ er seine Jade-Perlenschnur leise klackernd durch die Finger gleiten. Ich weiß nicht, wo er die plötzlich her hatte, wahrscheinlich aus der Reisetasche, aus der zweifellos auch das weiße Hemd mit dem offenen Kragen und das leichte cremefarbene Jackett stammten. Die Flasche Whisky, das Geschenk von Mr. Freyby, war aus der Tasche auf die Anrichte übergesiedelt.
    »Morgen, g-genauer, heute, findet die Entscheidungsschlacht mit Lind statt. Das wissen wir beide – ich und er. Ein Unentschieden ist ausgeschlossen. Das ist die Besonderheit unseres W-Warenaustauschs: Jeder ist fest entschlossen, alles zu bekommen und nichts preiszugeben. Was würde ein Unentschieden bedeuten? Wir würden die Geiseln retten und den ›Orlow‹ verlieren.« Fandorin nickte zu der Reisetasche hin, in der er den Stein versteckt hatte. »Lind würde am Lebenbleiben, ich auch. Das wäre weder nach seinem noch nach meinem Geschmack. Nein, Sjukin, es wird kein Unentschieden geben.«
    »Und wenn nun Mademoiselle und der Junge schon tot sind?« sprach ich laut aus, wovor ich die größte Angst hatte.
    »Nein, sie leben«, sagte Fandorin überzeugt. »Lind weiß sehr gut, daß ich kein D-Dummkopf bin und den Stein erst herausrücke, wenn ich mich überzeugt habe, daß die Geiseln leben.« Er klackerte noch einmal mit den Perlen und steckte sie in die Jackentasche. »Wir gehen folgendermaßen vor. Sie beobachten in der R-Rolle Fandorins den Schalter. Linds Leute werden Ihnen folgen. Und der richtige Fandorin wird Linds Leuten folgen. Alles sehr einfach, nicht wahr?«
    Seine Selbstgewißheit flößte mir einerseits Hoffnung ein und machte mich andererseits rasend. In dieser Minute entschied sich der Gewissenskonflikt, der mir seit dem gestrigen Abend zusetzte: Ich werde ihm die Worte der Großfürstin Xenia nicht ausrichten. Herr Fandorin hat ohnehin schon eine zu hohe Meinung von sich.
    Er setzte sich an den Tisch, dachte kurz nach und warf einige Zeilen in französischer Sprache aufs Papier. Ich schaute ihm über die Schulter.
     
    Im Gegensatz zu Ihnen bedeuten mir Menschen mehr als Steine. Sie werden den Diamanten bekommen. Bringen Sie morgen früh um vier Uhr den Jungen und die Frau zu dem freien Platz, wo die Petersburger Chaussee zum Petrowski-Schloß abbiegt. Dort wird der Tausch stattfinden. Ich werde allein sein. Wieviel Leute Sie bei sich haben, ist mir gleichgültig.
    Fandorin.
     
    »Warum ausgerechnet dort und warum zu einer so ausgefallenen Zeit?« fragte ich.
    »Das wird Lind g-gefallen: zu nachtschlafender Zeit, noch vor Sonnenaufgang, an einem einsamen Ort. Aber das ist im Grunde ohne Bedeutung. Alles entscheidet sich vorher … Legen Sie sich schlafen, Sjukin. Wir haben einen interessanten Tag vor uns. Ich gehe noch rasch zum Postamt und werfe den Brief ein. Die am Morgen eingegangene Post wird ab drei Uhr nachmittags ausgehändigt. Zu der Zeit sind Sie schon auf Ihrem Posten. Aber vorher verwandeln wir Sie bis zur U-Unkenntlichkeit.«
    Bei diesen Worten bekam ich Gänsehaut. Und wie sich später zeigte, nicht zu Unrecht.
     
    Das Moskauer Hauptpostamt kam mir häßlich vor, mit dem Petersburger nicht zu vergleichen – schummrig, eng, ohne Bequemlichkeit für die Besucher. Eine Millionenstadt sollte ein repräsentableres Hauptpostamt haben. Aber meinem Vorhaben kam die Ärmlichkeit dieser staatlichen Einrichtung sehr entgegen. Infolge der Enge und der miserablen Beleuchtung fiel mein zielloses Umhergehen weniger auf. Fandorin hatte aus mir einen Kollegienrat des Ministeriums

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