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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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daß ich nicht lebend aus dieser dunklen Ritze herauskam. Und auch der alte Seemann war wohl nicht so harmlos, wie ich gedacht hatte. Sollte ich von selber in die Falle gehen?
    Ich hielt es nicht länger aus und drehte mich offen um. In der Gasse war außer den beiden Banditen keine Menschenseele. Der eine tat so, als betrachte er die Auslage eines Kolonialwarenladens, der andere wandte sich gelangweilt ab. Und kein Fandorin!
    Was blieb mir übrig – ich mußte in den Torweg. Der erwies sich als lang: ein Hof, noch ein Torbogen, noch einer und noch einer. Obwohl es gerade erst dämmerte, herrschte hier längst Dunkelheit. Dennoch hätte ich die Silhouette des Seemanns erkannt. Er war verschwunden, als hätte ihn die Erde verschluckt.
    Er konnte doch unmöglich so schnell diesen ganzenTorweg zurückgelegt haben. Und wenn er gerannt wäre, hätte ich seine Schritte hören müssen. Oder war er in den ersten Hof eingebogen?
    Ich blieb wie angewurzelt stehen.
    Da hörte ich von der Seite, aus dem Dunkeln, Fandorins Stimme: »Nicht stehenbleiben, Sjukin. Gehen Sie langsam weiter und halten Sie sich im Hellen, damit die Sie sehen.«
    Ich verstand überhaupt nichts mehr, ging aber gehorsam weiter. Wo kam denn Fandorin her? Und wo war der Seemann geblieben? Hatte Fandorin ihn etwa betäubt und beiseite geschafft?
    Von hinten polterten Schritte, hallten unter dem niedrigen Gewölbe wider. Sie wurden schneller, kamen immer näher. Hatten die Verfolger beschlossen, mich einzuholen?
    Ich hörte ein trockenes Knacken, von dem sich mir die Nackenhaare sträubten. Solch ein Knacken hatte ich oft genug gehört, wenn ich für den Großfürsten Pawel den Revolver lud und den Hahn spannte – Seine Hoheit schoß gern auf dem Schießplatz.
    Ich drehte mich um, erwartete ein Aufflammen und einen Knall, aber es erfolgte kein Schuß.
    Vor dem Hintergrund eines beleuchteten Rechtecks sah ich zwei Silhouetten, dann eine dritte. Diese dritte löste sich von der Wand und stieß atemberaubend schnell ein Bein vor, wonach einer meiner Verfolger zusammenklappte. Der andere drehte sich rasch um, und ich sah den Lauf einer Pistole, doch der Schatten schlug blitzartig mit der Hand von unten nach oben, und die Feuerzunge traf die Gewölbedecke, der Schütze aber flog gegen die Wand, sank zu Boden und blieb reglos sitzen.
    »Sjukin, hierher!«
    Ich lief hin und murmelte: »Reinige uns von jeglichem Unrat und rette unsere Seelen.« Ich weiß selber nicht, was über mich kam, wahrscheinlich war es die Erschütterung.
    Fandorin beugte sich über den Sitzenden und riß ein Streichholz an.
    Da sah ich zu meinem maßlosen Erstaunen, daß es keineswegs Fandorin war, sondern der schnauzbärtige Bootsmann.
    »V-Verdammt«, sagte er. »Ich habe den Schlag nicht richtig berechnet. Das kommt von der Dunkelheit. Die Nasenscheidewand ist gebrochen, und der Knochen ist ins Gehirn gedrungen. Von dem einen Hieb. Und was ist mit dem da?«
    Er ging zu dem anderen Banditen, der aufzustehen versuchte.
    »Ausgezeichnet, der ist putzmunter. L-Leuchten Sie, Afanassi Stepanowitsch.«
    Ich zündete ein Streichholz an. Das schwache Flämmchen hob irre Augen, nach Luft schnappende Lippen aus dem Dunkel.
    Der Bootsmann, der dennoch niemand anders als Fandorin war, hockte sich hin und klatschte dem Benommenen schallend auf die Wangen.
    »Wo ist Lind?«
    Keine Antwort. Nur keuchendes Atmen.
    »Ou est Lind? Where is Lind?« wiederholte Fandorin in verschiedenen Sprachen.
    Der Blick des Liegenden war nicht mehr irre, sondern scharf und böse. Die Lippen schlossen sich, zuckten, spitzten sich, und ein Strahl Spucke traf Fandorins Gesicht.
    »Du Scheißdreck! Küß mich auf …«, schrie der Kerl heiser auf deutsch.
    Fandorin hieb ihm die Handkante gegen die Kehle, und das Schreien brach ab. Der böse Glanz in den Augen erlosch, der Kopf schlug dumpf auf die Erde.
    »Sie haben ihn umgebracht!« schrie ich entsetzt. »Warum?«
    »Er hätte sowieso nichts gesagt, und wir haben sehr w-wenig Zeit.«
    Fandorin wischte sich die Spucke aus dem Gesicht und zog dem Toten die Jacke aus. Dann warf er ihm etwas Kleines, Weißes auf die Brust, was, konnte ich nicht erkennen.
    »Schnell, Sjukin! Ziehen Sie die Uniformjacke aus und werfen Sie sie weg. Ziehen Sie das an.«
    Er riß sich den grauen Schnauzer und die Brauen ab und schleuderte die Bootsmannsjacke auf den Boden. Darunter trug er einen kurzen Gehrock mit Achselklappen. An die Mütze heftete er eine Kokarde, und ich begriff plötzlich, daß

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