Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
Vom Netzwerk:
deine Bemühungen bekommst du fünfundzwanzig Kopeken. Fahr in den Torweg dort und warte. Aber ja nicht einschlafen, alles klar?«
    »Was soll da unklar sein?« antwortete der Kutscher forsch, ein junger Bursche mit aufgewecktem stupsnasigem Gesicht.
    »Kommen Sie, Afanassi Stepanowitsch, ich habe ein urgemütliches P-Plätzchen für uns ausgeguckt.«
    Dem Häuschen gegenüber stand eine imposante Villa, umgeben von einem Gitterzaun. Fandorin war im Handumdrehen hinübergeklettert und bedeutete mir mit einer Geste, es ihm nachzutun. Das hier war ein Kinderspiel im Vergleich zum Neskutschny-Park.
    »Nicht übel, was?« fragte Fandorin stolz und zeigte auf die gegenüberliegende Seite der Gasse.
    Der Blick auf das Postlerhaus war wirklich ideal, aber unseren Beobachtungsposten »urgemütlich« nennen, das konnte höchstens ein Stammgast der »masochistischen« (wenn ich mir das Wort richtig gemerkt habe) Zelle im Klub »Elysium«. Wir hockten uns in dornige Sträucher, die sich sogleich in meine Kleidung krallten und mir die Stirn zerkratzten. Ich ächzte und versuchte den Ellbogen freizubekommen. Mußten wir etwa die ganze Nacht hier ausharren?
    »Macht nichts«, flüsterte Fandorin munter. »Die Chinesen sagen: ›Ein edler Mann strebt nicht nach Bequemlichkeit.‹ Beobachten wir die Fenster.«
    Wir beobachteten die Fenster.
    Ehrlich gesagt, ich konnte nichts Auffälliges entdecken – ein paarmal huschte ein verschwommener Schatten hinter den Gardinen vorüber.
    In den anderen Häusern war das Licht längst erloschen, doch die Bewohner unseres Hauses schienen nicht ans Schlafengehen zu denken. Das war aber auch das einzige, was einem verdächtig vorkommen konnte.
    »Und wenn es eine vierte gibt?« fragte ich nach zwei Stunden.
    »Eine vierte was?«
    »Möglichkeit.«
    »Und die wäre?«
    »Wenn Sie sich nun geirrt haben und der Postler überhaupt nichts mit Lind zu tun hat?«
    »Ausgeschlossen«, zischte Fandorin fuchtig. »Er muß mit ihm zu tun haben. Und er wird uns zu dem D-Doktor führen.«
    Ihr Wort in Gottes Ohr, dachte ich, schwieg aber.
    Es verging noch eine halbe Stunde. Ich sann darüber nach, daß ich zum erstenmal im Leben nicht wußte, welches Datum war: Freitag oder Sonnabend, der Siebzehnte oder der Achtzehnte? Nicht, daß es so wichtig gewesen wäre, aber es ließ mir keine Ruhe. Schließlich hielt ich es nicht mehr aus und fragte flüsternd: »Ist heute der Siebzehnte?«
    Fandorin zog seine Breguet, deren Leuchtziffern schimmerten.
    »Seit fünf Minuten ist der A-Achtzehnte.«

 
    18. Mai
    Der Tag war warm gewesen, der Abend auch, aber nachdem ich ein paar Stunden reglos im Gebüsch gesessen hatte, war ich völlig durchgefroren. Die Zähne klapperten, die Füße waren eingeschlafen, und ich hatte kaum noch Hoffnung, daß unsere Nachtwache uns weiterbringen würde. Fandorin blieb unerschütterlich, mehr noch, er bewegte sich in der ganzen Zeit kein einziges Mal, so daß mir der Verdacht kam, er schlafe mit offenen Augen. Am meisten erboste mich sein besänftigter, ich würde sogar sagen, beseelter Gesichtsausdruck, als lausche er zauberhafter Musik oder dem Gesang der Paradiesvögel.
    Plötzlich, als ich schon ernsthaft an Rebellion dachte, flüsterte er, ohne den Gesichtsausdruck zu ändern: »Achtung.«
    Ich fuhr hoch, nahm aber keine Veränderung wahr. Im Haus gegenüber waren nach wie vor zwei Fenster erhellt. Keine Bewegung, kein Laut.
    Ich sah Fandorin an und stellte fest, daß er noch nicht aus seinem Schlaf, seiner Entrücktheit, seiner Träumerei, kurz, seiner sonderbaren Trance erwacht war.
    »Gleich kommen sie heraus«, sagte er leise.
    »Woher wissen Sie das?«
    »Ich bin mit dem Haus zu einem Ganzen verschmolzen, habe es in mich eindringen lassen und höre seinen A-Atem«, erklärte er ganz ernst. »Es gibt so eine östliche M-Methode.Die zu beschreiben ist jetzt keine Zeit. Aber vor einer Minute begann das Haus zu knarren und zu schwingen. Es sch-schickt sich an, Menschen auszustoßen.«
    Mir war nicht klar, ob er scherzte oder phantasierte. Ich neigte zu letzterem, denn nach einem Scherz klang es nicht.
    »Herr Fandorin, schlafen Sie?« erkundigte ich mich vorsichtig, aber im selben Moment wurden die Fenster dunkel.
    Gleich darauf ging die Tür auf, und zwei Gestalten kamen heraus.
    »Jetzt ist niemand mehr im Haus, es ist l-leer«, sagte Fandorin langsam, dann packte er mich plötzlich am Ellbogen und sprudelte flüsternd hervor: »Lind, das ist Lind, Lind!«
    Ich starrte ihn

Weitere Kostenlose Bücher