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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Stimme und schlug den Vorhang zurück.
    Erast Fandorin saß da, wo ich ihn zurückgelassen hatte, die Beine übereinandergeschlagen, und ließ eine Jade-Perlenschnur durch die Finger gleiten. Die Stimme gehörte dem Adjutanten des Generalgouverneurs, dem Fürsten Glinski, einem vornehmen jungen Mann mit mädchenhaft hübschem Gesicht. Über solche sagt der Volksmund: Wär’s ein Mägdelein, tät ich um sie frein. Der Fürst beugte sich zu Fandorinherab und betrachtete aufmerksam dessen schmalen akkuraten Schnurrbart. Glinski selbst – ich sah ihn erstmals genauer an – trug einen pomadisierten Schnurrbart, und seine Lippen waren geschminkt. Aber wen wundert’s?
    »Nein, mein Herr, ich benutze kein F-Fixativ«, antwortete Fandorin höflich und blickte zu dem jungen Mann hoch, ohne ihm auszuweichen.
    »Mein Gott, und was für Wimpern Sie haben!« hauchte der Adjutant. »Was gäbe ich nicht für so lange, gebogene schwarze Wimpern. Ist die Farbe echt?«
    »Völlig echt«, versicherte Fandorin freundlich.
    Hier unterbrach ich das irre Gespräch und bat den Staatsrat, mir zu folgen.
     
    Erstaunlich, doch Fandorin ließ vor all den kaiserlichen Hoheiten nicht die leiseste Befangenheit erkennen. Die leichte, zugleich respektvolle Verbeugung, die allen galt, besonders aber Seiner Majestät, hätte auch dem außerordentlichen und bevollmächtigten Botschafter eines großen Staates alle Ehre gemacht.
    Großfürst Kirill, der eben noch Fandorins Verdienste hervorgehoben hatte, forderte jetzt ohne ein Begrüßungswort scharf und, wie mir schien, feindselig: »Erzählen Sie, was Sie über Doktor Lind und die ganze Geschichte wissen.«
    Fandorin neigte den Kopf, als wolle er kundtun, daß er das Problem begriffen habe, sagte jedoch etwas ganz anderes, als von ihm erwartet wurde. Der Blick seiner kalten blauen Augen glitt über die Gesichter der Sitzenden und verharrte dann auf dem Blatt Papier, das auf dem Tisch lag.
    »Ich sehe, der B-Brief ist eingetroffen. Darf ich mich mit dem Inhalt vertraut machen?«
    »Ich habe euch gewarnt, seine Dreistigkeit ist beispiellos!« rief Großfürst Simeon empört, aber Fandorin sah nicht einmal zu ihm hin.
    Auch Großfürst Kirill ließ die Worte seines Bruders unbeachtet.
    »Ja, Georgie, lies den Brief laut vor. Da ist jedes Wort wichtig.«
    »Ja, ja«, fiel Seine Majestät ein. »Ich würde ihn auch gern noch einmal hören.«
    Großfürst Georgi nahm das Blatt angewidert vom Tisch und las den französisch abgefaßten Brief vor:
     
    Herren Romanow,
    ich biete Ihnen ein vorteilhaftes Tauschgeschäft an: den kleinen Prinzen mit einem Gewicht von 10 Kilo gegen den kleinen Grafen »Orlow« mit einem Gewicht von 190 Karat. Die Übergabe findet morgen statt, und kommen Sie nicht auf die Idee, mir eine Imitation anzubieten – ich habe meinen Juwelier. Wenn Sie einverstanden sind, antworten Sie morgen punkt zwölf vom Semaphor des Alexandra-Schlosses. Wenn nicht, wird Ihnen der Prinz unverzüglich zugestellt. In Einzelteilen.
    Aufrichtig Ihr
    Doktor Lind.
    P. S. Ich füge die Chiffre für das Lichtsignal bei.
     
    Ich war gerade im Begriff, Seiner Majestät Kaffee einzuschenken, und erstarrte mit der Kanne in der Hand, so daß ich ein paar Tropfen vergoß, was mir noch nie passiert war. Das Ungeheuerliche des Briefes hatte meine schlimmsten Befürchtungen übertroffen. Seine Hoheit – in Einzelteilen? O mein Gott, mein Gott …
    »Was ist das für ein Semaphor?« Das war das einzige, was Fandorin an dem monströsen Brief interessierte.
    In Gegenwart Seiner Majestät Fragen zu stellen ist unstatthaft, doch der Zar nahm diese himmelschreiende Verletzung der Etikette nicht nur nachsichtig hin, sondern antwortete mit der ihm eigenen Höflichkeit: »Er wurde schon unter meinem Urgroßvater auf dem Schloßdach installiert, und in der Regierungszeit meines Großvaters wurde er für Dunkelheit und trübes Wetter mit elektrischen Lichtern ausgestattet. Mit ihm lassen sich Lichtsignale senden, die an fast jedem Punkt der Stadt zu sehen sind.«
    Statt Seiner Majestät untertänigst für die huldvolle Erklärung zu danken, nickte Fandorin nur nachdenklich und präzisierte: »›Orlow‹, das ist vermutlich der Diamant, der das kaiserliche Zepter schmückt?«
    »Ja«, bestätigte der Zar sanft, »derselbe, den Graf Orlow 1773 im Auftrag der großen Katharina in Amsterdam gekauft hat.«
    »Unmöglich, völlig undenkbar«, fuhr Großfürst Simeon dazwischen. »Ausgeschlossen, ihn wegzugeben. Er ist eine

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