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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Herrn nicht genug Achtung zollen. Ein gewöhnlicher Mensch, dessen Kind entführt wurde, hätte getobt und geschrien und sich die Haare gerauft, doch Großfürst Georgi verlor nicht für einen Moment die Contenance, rauchte nur eine Papirossa nach der anderen. In solchen Minuten wird mir besonders deutlich bewußt, was für eine hohe Ehre und enorme Verantwortung es ist, Personen kaiserlichen Geblüts zu dienen. Das sind besondere Menschen, keine gewöhnlichen Sterblichen.
    »Ich erlaube mir zu berichten«, fuhr ich fort. »Eine solche Unerschütterlichkeit bei einem Menschen, der von dem furchtbaren Unglück weiß, kam mir sonderbar vor. Ich trat zu Herrn Fandorin und fragte ihn, ob er im Park noch irgendwelche Spuren entdeckt habe. Er antwortete: ›Eine zweite Droschke, die bei der Wiese stand, entführte den Jungen in Richtung Große Kalugaer Straße. Ein Diener hat am Parktoreine schnell fahrende Equipage mit zugezogenen Vorhängen gesehen.‹ – ›Aber das müssen Sie unverzüglich der Polizei mitteilen‹, sagte ich. Darauf er: ›Was bringt das? Im Augenblick können wir nichts machen.‹ Und er fügte noch folgendes hinzu.«
    Hier machte ich eine kleine Pause und wiederholte dann Fandorins Worte genauso, wie ich sie mir eingeprägt hatte: »›Wir müssen den Brief von Lind abwarten.‹ Ich muß gestehen, daß ich nicht verstand, von was für einem Brief er redete, und der Name sagte mir überhaupt nichts. Aber ich erinnere mich genau, er sagte ›Lind‹. Dann wurde ich ans Telephon gerufen, und damit war das Gespräch beendet. Aus all dem geht hervor, daß Herr Fandorin von dem Brief und von Lind wußte. Ich erlaube mir auch, die Aufmerksamkeit Eurer kaiserlichen Majestät und Ihrer kaiserlichen Hoheiten auf den Umstand zu lenken, daß Herr Fandorin gestern nicht zufällig am Ort der Entführung erschien. Für einen zufälligen Passanten handelte er zu entschlossen, und er sagte recht merkwürdige Dinge, erkannte auch den Anführer der Banditen – er nannte den Namen ›Penderecki‹.«
    Oberst Karnowitsch ließ sich aus seiner Ecke vernehmen: »Über Lech Penderecki mit dem Spitznamen ›Narbe‹ habe ich einiges in Erfahrung gebracht. Er gehörte zu den Anführern der Verbrecherwelt Polens, betätigte sich als Räuber, Erpresser, Mörder, ging aber immer vorsichtig und geschickt vor – wurde nie auf frischer Tat erwischt. Gerüchten zufolge unterhielt er Verbindungen zu kriminellen Vereinigungen in zahlreichen Ländern Europas. Sein Leichnam wurde im Kühlwaggon zur Identifizierung nach Warschau überführt, aber nach den äußeren Merkmalen und der Bertillonage zu urteilen, ist es wirklich Penderecki.«
    »Woher wußte Fandorin von diesem Subjekt?« sagte Großfürst Kirill nachdenklich.
    Großfürst Simeon warf giftig ein: »Na, das läßt sich leicht feststellen. Man muß diesen Fandorin verhaften und in die Mangel nehmen. Dann wird er auspacken. Mein Lassowski versteht sich darauf, Zungen zu lösen. Wenn der losbrüllt, wird selbst mir ganz anders.«
    Seine Hoheit lachte hochzufrieden über seinen eigenen Scherz, doch niemand der Anwesenden teilte seine Heiterkeit.
    »Onkel Kir, Onkel Sam«, sagte Seine Majestät weich, »ihr sprecht den Namen Fandorin so aus, als sei er euch ein Begriff. Wer ist das denn?«
    Für die Großfürsten antwortete Karnowitsch. Er zog einen Zettel aus der Tasche und trug vor: »Fandorin, Erast Petrowitsch. Vierzig Jahre alt. Rechtgläubig. Erbadel. Inhaber … vieler Orden, die kann man nicht alle aufzählen. Staatsrat im Ruhestand. War fast zehn Jahre Beamter für Sonderaufträge beim Moskauer Generalgouverneur Fürst Dolgorukoi.«
    »Hm, Fandorin ist also wieder da«, sagte Großfürst Kirill gedehnt, als erinnere er sich an eine lang zurückliegende Geschichte. »Ich möchte wissen, wo er all die Jahre gesteckt hat.«
    Aus diesen Worten zog ich den Schluß, daß Seine Hoheit den Staatsrat tatsächlich kannte.
    Aber da stellte sich heraus, daß Großfürst Simeon den Herrn noch besser kannte, zudem wohl nicht von der schmeichelhaftesten Seite.
    »Fandorin hat sich fünf Jahre lang nicht in Moskau blicken lassen«, teilte er mit und verzog das Gesicht. »Der Spitzbube weiß, daß er in meiner Stadt nichts zu suchen hat. Nicky, dasist ein Abenteurer der übelsten Sorte, verschlagen, wendig, aalglatt, skrupellos. Wie man mir berichtete, hat er, nachdem er aus Rußland verblüht ist, mit allerlei dunklen Geschäften Furore gemacht. Er hat sowohl in Europa als auch in

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