Entführung des Großfürsten
Amerika und sogar in Asien Spuren hinterlassen. Ich gebe zu, daß ich die Wege dieses Herrn verfolge, weil ich noch eine Rechnung mit ihm zu begleichen habe … Also, ich weiß aus zuverlässigen Quellen, daß er so tief gesunken ist, wie es tiefer nicht geht: Er stellt im Auftrag von Privatpersonen Nachforschungen an und scheut sich nicht, sich seine Dienste bezahlen zu lassen, und zwar üppig. Unter seinen
Klienten«
(dieses Wort sprach Großfürst Simeon mit besonderem Abscheu aus) »sind Geldmagnaten und leider auch ausländische Herrscher. In den vergangenen fünf Jahren hat er auf diesem vulgären Gebiet eine gewisse Berühmtheit erlangt. Ich zweifle nicht, daß er viele dunkle Geheimnisse kennt, aber in unserer Familienangelegenheit werden wir auch ohne seine fragwürdigen Dienste auskommen. Meine Polizei arbeitet vortrefflich, und mein Lassowski wird diesen Doktor im Handumdrehen festsetzen.«
»Ich bitte Eure Hoheit um Verzeihung«, warf Karnowitsch mit ungerührter Miene ein, »aber der Schutz der kaiserlichen Familie gehört zur Kompetenz meines Amtes, und ich wage Ihnen zu versichern, daß wir auch ohne Beteiligung der Moskauer Polizei und erst recht ohne die Hilfe von Amateurdetektiven dieser Aufgabe gerecht werden.« Der Oberst deutete ein Lächeln an und fügte kaum hörbar, wie für sich, hinzu: »Da hat sich ja ein Sherlock Holmes gefunden.«
»Nein, Oberst, Fandorin ist ganz und gar kein Amateur«, widersprach ihm Großfürst Kirill. »Er ist ein ungewöhnlich fähiger Mann. Wenn uns in dieser schwierigen und delikatenAngelegenheit jemand helfen kann, dann nur er. Zudem weiß er etwas über diesen Verbrecher Lind. Nicht unwichtig ist auch der Umstand, daß Fandorin als Privatperson freier agieren kann. Nein, Nicky, ohne diesen Mann kommen wir nicht aus. Ich bin sogar geneigt anzunehmen, daß er uns von Gott gesandt ist.«
»Blödsinn! Kompletter Blödsinn!« Großfürst Simeon schleuderte seinen Bleistift in die Ecke, und ich zog aus meiner Jackentasche den nächsten hervor. »Ich bin entschieden dagegen!«
Großfürst Kirill, der einen solchen Ton nicht gewöhnt war und, soweit mir bekannt, seinen jüngeren Bruder nicht sonderlich schätzte, neigte das Löwenhaupt und durchbohrte den Generalgouverneur mit seinem berühmten sengenden Blick. Der Generalgouverneur seinerseits reckte das Kinn, so daß sein gepflegtes Bärtchen Ähnlichkeit mit dem Bugspriet eines Schiffes bekam, und setzte eine unbeugsame Miene auf.
Eine lastende Pause trat ein.
»Wie verfahren wir nun mit diesem Fandorin?« fragte der Zar kläglich. »Hereinrufen oder nicht? Um Hilfe bitten oder verhaften?«
Weder der eine noch der andere antwortete Seiner Majestät, wandte auch nur den Blick. Darin äußerte sich eine alte, langjährige Feindseligkeit, die begonnen hatte, als der jetzige Zar noch gar nicht auf der Welt war. Nur war Großfürst Simeon dem älteren Bruder, wie man so sagt, nicht gewachsen. Es gab keinen Fall, daß er sich gegen ihn durchgesetzt hätte.
Großfürst Georgi, obwohl von kräftiger Statur, war bedeutend ruhiger und gutmütiger als die beiden, aber wenn er einmal in Wut geriet, dann gnade Gott. So auch jetzt – er verfärbte sich plötzlich himbeerrot, schwoll an, so daß ichbefürchtete, die Ösen am Kragen könnten abspringen, und es war klar: Gleich würde ein Sturm losbrechen.
Der Zar sah dieses schreckliche Bild nicht, weil er die Großfürsten Kirill und Simeon anblickte. Hätte er es gesehen, dann würde er wohl geschwiegen haben, aber so begann er in versöhnlichem Ton: »Onkel Sam, Onkel Kir, hört meine Meinung …«
Doch da schlug der Blitz ein. Großfürst Georgi hieb die Faust mit solcher Wucht auf den Tisch, daß zwei Weinpokale umfielen, eine Kaffeetasse zersprang und Großfürst Simeon vor Überraschung auf seinem Stuhl hochhüpfte.
»Sei still, Nicky!« donnerte das Oberhaupt des Grünen Hauses. »Und ihr beide auch! Mein Sohn wurde entführt, und ich entscheide! Und vergeßt nicht, daß nur dank diesem, na, wie heißt er gleich, mit ›F‹, meine Tochter gerettet wurde! Er soll uns erzählen, was er weiß!«
Damit war die Frage entschieden.
Ich schlüpfte lautlos aus dem Salon, um Fandorin hereinzurufen. Vor der Tür war ein Plüschvorhang, dann kam der Korridor, wo der »Amateurdetektiv«, wie Karnowitsch ihn genannt hatte, wartete.
»Ihr Schnurrbart ist einfach eine Pracht. Stutzen Sie ihn mit einer Pinzette? Benutzen Sie ein Fixativ?« vernahm ich eine etwas affektierte
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