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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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Tausende Augen auf dich gerichtet, darunter auch sehr aufmerksame, durchdringende. Nicht die kleinste Verwirrung, nicht der Schatten einer Beunruhigung – hast du mich verstanden?«
    Der Zar nickte unsicher.
    »Wir alle müssen so tun, als wäre nichts passiert. Ich verstehe, Georgie, wie dir zumute ist«, wandte sich Großfürst Kirill an seinen Bruder. »Du bist der Vater. Trotzdem müßt auch ihr, du und Pawel und Xenia, einen fröhlichen und sorglosen Eindruck machen. Wenn ruchbar wird, daß irgendwelcheAbenteurer vor den Augen der ganzen Welt den Cousin des russischen Zaren entführt haben, wird das Prestige der Romanows, das durch die Ermordung unseres Vaters 9 ohnehin angekratzt ist, endgültig untergraben. In Moskau werden acht ausländische Erbprinzen, vierzehn Regierungsoberhäupter, drei Dutzend Sonderbotschafter erwartet …«
    Großfürst Simeon warf den Bleistift auf den Tisch und unterbrach den älteren Bruder: »Das ist doch Irrsinn! Ein Doktor! Was für ein Doktor? Das ist ein Verrückter! Den ›Orlow‹ will er! Eine Frechheit!«
    Ich verstand kein Wort von dem, was der Moskauer Generalgouverneur sagte. Doktor? Orlow? Welcher von den Orlows – der Oberkammerherr oder der stellvertretende Innenminister?
    »Ja, in der Tat«, stimmte Seine Majestät nickend zu, »ist etwas bekannt über diesen Doktor Lind?«
    Großfürst Kirill drehte sich zum Chef der Hofpolizei um, dessen Pflicht es war, über alles, was auch nur die geringste Gefahr für die kaiserliche Familie darstellte, Bescheid zu wissen.
    »Was haben Sie dazu zu sagen, Karnowitsch?«
    Der Oberst stand auf, rückte die Brille mit den dunkelblauen Gläsern zurecht und säuselte mit sehr leiser, doch erstaunlich deutlicher Stimme: »Einen Verbrecher dieses Namens hat es auf dem Territorium des Russischen Reiches bisher nicht gegeben.«
    Und er setzte sich wieder.
    Eine Pause folgte, und ich fühlte, daß für mich der Moment gekommen war, aus der Rolle des körperlosen Schattens herauszutreten.
    Ich hüstelte verhalten, aber da im Salon völliges Schweigen herrschte, klang es recht laut. Die Großfürsten Kirill und Simeon drehten sich verwundert um, als bemerkten sie erst jetzt meine Anwesenheit (übrigens schließe ich nicht aus, daß dem wirklich so war), und Großfürst Georgi, der weiß, daß ich eher an meinem Husten ersticken würde, als die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken, fragte: »Willst du etwas mitteilen, Afanassi?«
    Da richteten auch die übrigen hohen Anwesenden den Blick auf mich, was ich nicht gewohnt war, so daß ich das Zittern in meiner Stimme nicht ganz bemeistern konnte.
    »Über Herrn Fandorin, denselben, der gestern … Augenzeuge der Untat war.« Ich rang die Erregung nieder und fuhr ruhiger fort. »Heute morgen, als aus bekanntem Grund bei uns im Haus eine gewisse Aufregung zu bemerken war, saß Herr Fandorin auf der Terrasse und rauchte seelenruhig eine Zigarre …«
    Großfürst Simeon unterbrach mich gereizt: »Meinst du wirklich, uns interessiert, wie Herr Fandorin den Morgen verbracht hat?«
    Ich verstummte augenblicklich, verneigte mich vor Seiner Hoheit und wagte nicht fortzufahren.
    »Schweig, Sam«, fuhr Großfürst Georgi den jüngeren Bruder an.
    Großfürst Simeon hat eine unglückliche Besonderheit – niemand liebt ihn. Weder seine Verwandten noch seine nächste Umgebung, weder die Moskauer noch seine Gattin. Einen Menschen wie ihn zu lieben ist schwer. Man erzählt, der verewigte Zar habe ihn zum Generalgouverneur von Moskau ernannt, um ihn seltener zu sehen und um seinen Klüngel vom Hof zu entfernen – all die hübschen Adjutanten und geschminktenSekretäre. Leider Gottes sind die Gepflogenheiten des Großfürsten für niemanden ein Geheimnis, die gute Gesellschaft zerreißt sich darüber den Mund. Kaum daß er heute die Diele betrat (er traf als letzter ein, nach dem Zaren), fragte er mich aufgekratzt: »Was ist denn das für ein hübscher Mann, dem ich gerade auf der Wiese begegnet bin? So ein zarter Jüngling mit gelben Haaren?« Ich erklärte dem Großfürsten respektvoll, daß es wahrscheinlich der Engländer Mr. Carr gewesen sei, doch im Innern war ich einigermaßen bestürzt – wie konnte er bloß in Kenntnis der schrecklichen Ereignisse seinen Neigungen nachgeben? Aber was heißt Neigungen – Seine Hoheit hatte einfach einen üblen Charakter.
    »Sprich weiter, Afanassi«, befahl mir Großfürst Georgi. »Wir hören dir aufmerksam zu.«
    Ich kann der Beherrschung und Mannhaftigkeit meines

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