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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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überzeugen können. Er war sich natürlich darüber im klaren, welch wichtigem Examen er hier unterzogen wurde, und führte jeden Auftrag untadelig aus – ich beobachtete ihn mit aller Mäkelsucht, fand aber nichts auszusetzen. Ich wies ihn an, sich draußen vor der Tür bereitzuhalten, denn das Gespräch war nicht für seine Ohren bestimmt, und wenn er etwas bringen oder forträumen sollte, rief ich ihn mit dem Glöckchen herein. Der Balte tat flink, doch ohne Hast das Erforderliche und verschwand wieder.
    Strengere und sachkundigere Kenner der Lakaienkunst als meine Gäste gab es wohl auf der ganzen weiten Welt nicht. Das galt ganz besonders für den verehrten Foma Anikejewitsch.
    Hier muß ich erklären, daß wir Diener unsere eigene Hierarchie haben, die jedoch nicht vom Status unserer Herrschaften abhängt, sondern ausschließlich von der Erfahrung und Würde des einzelnen. In dieser Hierarchie nimmt Foma Anikejewitsch, der Haushofmeister des Großfürsten Simeon, des jüngsten der kaiserlichen Onkel, zweifellos den ersten Platz ein. Luka Jemeljanowitsch und ich stehen etwa auf einer Stufe, Dormidont hingegen, der Kammerdiener des Zaren, gilt in unserem Kreis trotz seiner glänzenden Stellung noch als Geselle. Er kennt selbst seinen Platz, und so saß er jetzt bescheiden auf seinem Stuhl, ohne sich anzulehnen, und bemühte sich, weniger zu sprechen und mehr zuzuhören. Die allgemeine Meinung über ihn ist: talentiert, gute Beobachtungsgabe, lernt schnell, wird es weit bringen. Er kommt auseiner guten Familie von Haushofmeistern, was auch an seinem Namen abzulesen ist – Dormidont Kusmitsch. Wir alle, die wir angestammte Diener sind, bekommen bei der Taufe einfache alte Namen, denn in der Welt muß alles seine Ordnung haben und jeder Mensch den seiner Bestimmung entsprechenden Namen tragen.
    In den anderthalb Jahren der Herrschaft des neuen Zaren ist Dormidont in der Achtung der Hofkenner gestiegen. Erwähnt sei hier der Vorfall in Liwadia, gleich nach dem Ableben des alten Herrschers, als der neue Zar, in seinem Kummer, beinahe mit einfachen Achselklappen und ohne Trauerflor die Beileidsbezeigungen entgegengenommen hätte. Dormidont faßte Seine Majestät am Ellbogen, als sich die Türen schon auftaten, und ersetzte in wenigen Sekunden die Achselklappen durch Epauletten und befestigte den Trauerflor an der Achselschnur. Sonst wäre es zu Gott weiß was für Peinlichkeiten gekommen.
    Aber natürlich reicht Dormidont noch lange nicht an solche Adler wie Foma Anikejewitsch oder den verstorbenen Prokop Swiridowitsch heran. Foma hat ein schweres Kreuz zu tragen, er dient dem Großfürsten Simeon. Kein beneidenswertes Los. Wie oft hat er Seine Hoheit vor Schande bewahrt! Wenn der Generalgouverneur in Moskau noch einiges Ansehen genießt, dann nur dank seiner Frau Jelisaweta Feodorowna und seinem Haushofmeister.
    Von Prokop Swiridowitsch, der Kammerdiener bei Alexander dem Befreierzaren war, werden in unseren Kreisen Legenden erzählt.
    Während des Balkanfeldzugs, beim dritten Angriff auf Plewna, schlug eine verirrte türkische Granate in unmittelbarer Nähe des Zaren ein, der gerade einen Imbiß nahm.Prokop Swiridowitsch stand, wie es sich gehörte, neben ihm, in den Händen ein Tablett mit einer Schale Bouillon, einem Brötchen und einer Serviette.
    Plötzlich dieser Feuerball! Er fiel in eine kleine grasbewachsene Mulde, zischte dort, hüpfte, qualmte, gleich würde er detonieren. Die ganze Suite stand erstarrt, nur der Kammerdiener behielt die Nerven: Ohne das Tablett fallen zu lassen, machte er zwei kleine Schritte auf die Mulde zu und goß Bouillon auf die Granate! Die Lunte erlosch! Am verblüffendsten war, daß Seine Majestät, vom Essen in Anspruch genommen, den kleinen Zwischenfall gar nicht wahrnahm und sich nur wunderte, daß in der ihm gereichten Schale so wenig Bouillon war. Komissarow, der die Pistolenkugel des Zarenattentäters Karakosow abgewendet hatte, war in den Adelsstand erhoben worden, aber Prokop Swiridowitsch ging leer aus, weil keiner von den Augenzeugen, den Generalen und Flügeladjutanten, dem Zaren etwas sagte. Es war ihnen peinlich, daß ein Kammerdiener mehr Mut und Entschlossenheit besaß als sie, und Prokop war keiner, der mit seinen Verdiensten prahlte.
    Doch noch größere Verwegenheit bewies er an einer anderen, intimeren Front. Man kann sagen, daß er den Frieden und die Ruhe in der kaiserlichen Familie rettete. Einmal unterlief Seiner Majestät am Namenstag seiner Gattin ein

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