Entführung des Großfürsten
peinlicher Fauxpas: Als er das Geschenk, einen Ring mit einem großen herzförmigen Saphir und den Initialen der Zarin, aus der Tasche zog, fiel ein anderer, ebensolcher Ring, nur mit den Initialen der Gräfin Twerskaja, zu Boden.
»Was ist das?« fragte die Zarin, blickte kurzsichtig blinzelnd auf den über den Teppich rollenden Ring und zog ein Lorgnon aus ihrem Täschchen.
Der Zar versteinerte und wußte nicht, was er antworten sollte. Doch der Kammerdiener bückte sich rasch, hob den Ring auf und verschluckte ihn. Erst dann erklärte er aufs ehrerbietigste: »Verzeihung, Eure kaiserliche Majestät, ich habe meine Arzneipille fallen lassen. Der Magen macht mir zu schaffen.«
Solch ein Mensch war das – später hat ihm Pirogow persönlich den Ring aus dem Bauch geschnitten.
Sein Beispiel inspirierte mich, als ich im letzten Jahr dem Großfürsten Georgi aus einer ebenso delikaten Verlegenheit half, in die er durch einen Brief der Ballerina Sneshnewskaja geraten war. Gott sei Dank war es nur Papier und kein Saphir, so daß ich ohne chirurgischen Eingriff davonkam.
Als ich mich der ehrwürdigen Gesellschaft zugesellte, drehte sich das Gespräch um die bevorstehenden Feierlichkeiten. Dormidont, sichtlich aufgeregt, was auch verständlich war, denn er erhielt in solch erlesenem Kreis nicht oft das Wort, erzählte Interessantes über den Zaren. Foma Anikejewitsch und Luka Jemeljanowitsch hörten ihm wohlwollend zu. Der Japaner blähte die Backen, riß die Schlitzäuglein auf und trank Tee aus einer Untertasse. Mademoiselle nickte höflich, aber an ihren Augen war zu sehen, daß sie mit ihren Gedanken weit weg war (ich erwähnte wohl schon, daß sie bei aller Beherrschung ihre Augen nicht immer in der Gewalt hatte). Mr. Freyby paffte behaglich seine Pfeife und blätterte die Seiten seines Buches um.
»… wollen den Charakter stählen«, sagte Dormidont in dem Moment, in dem ich den Raum betrat. Als er mich sah, erhob er sich respektvoll und fuhr dann fort. »Seine Majestät ist sehr abergläubisch, möchte aber um jeden Preis dasSchicksal bezwingen. Darum wurde die Reise nach Moskau absichtlich auf den Tag des vielgeprüften Hiob gelegt und der Einzug in den Kreml auf den dreizehnten, obwohl auch ein früherer Termin möglich gewesen wäre. Meines Erachtens ist das sinnlos, wozu das Schicksal versuchen. Gestern war der Tag des Hiob – und Sie wissen, wie er ausging.« Er blickte vielsagend in meine Richtung und hielt es offenbar für unangebracht, ausführlicher auf das Unglück einzugehen, welches das Grüne Haus ereilt hatte.
»Was sagen Sie dazu, Luka Jemeljanowitsch?« fragte Foma.
Der Haushofmeister des Großfürsten Kirill, ein bedächtiger und solider Mann, dachte kurz nach und sagte: »Nun ja, es steht einem Monarchen wohl an, seinen Willen zu festigen. Ein stärkerer Charakter kann Seiner Majestät nicht schaden.«
»So denken Sie darüber?« sagte Foma kopfschüttelnd. »Ich finde das nicht gut. Nur wer leicht und freudig regiert und lebt, wird vom Schicksal geliebt. Wer jedoch selbst das Unheil auf sich herabbeschwört, dem schickt es Unwetterwolken. Unser Reich ist ohnehin nicht sehr fröhlich, und wenn auch noch der Herrscher unkt … Obendrein ist auch die Zarin schwerblütig und melancholisch. Mit zunehmendem Alter und Selbstvertrauen wird der Zar allein regieren, und er wird ebenso düstere und glücklose Minister heranziehen. Man weiß ja: Wie der Herr, so’s Gescherr.«
Mich befremdete nicht, daß der Haushofmeister so offen über Seine Majestät urteilte (das war in unserem Kreis seit langem üblich und der Sache dienlich), sondern daß er sich überhaupt nicht vor dem fremden Menschen in acht nahm, dem Japaner. Offensichtlich hatte es Fandorins Diener in meiner Abwesenheit zuwege gebracht, Foma AnikejewitschsVertrauen zu gewinnen. Dieser war ein scharfsichtiger Mann, der die Menschen durchschaute und wußte, was er wem sagen konnte und was nicht.
An dem glatten, leidenschaftslosen Gesicht des Asiaten war nicht zu erkennen, ob er verstand, wovon die Rede war, oder ob er einfach nur Tee in sich hineinschüttete.
»Was denken Sie darüber, Afanassi Stepanowitsch?« wandte sich Foma an mich, und an seinem fragenden Blick erkannte ich, daß ein anderer Sinn hinter der Frage stand: ob ich über die Hauptsache sprechen wollte, oder ob ich ein abstraktes Thema vorzog.
»Kommt Zeit, kommt Rat«, antwortete ich, nahm Platz und läutete nach Lipps, damit er mir Tee einschenkte. »In der
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