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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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und geradliniger Junge gewesen, dem die Übungen in Beherrschung nicht leichtfielen. Obwohl inzwischen volljährig, würde er noch viel lernen müssen.
    Nachdem hinter dem Großfürsten die Tür zugeschlagen war, herrschte langes, finsteres Schweigen. Alle zuckten zusammen, als die Uhr dreiviertel elf schlug.
    »Wenn wir den ›Orlow‹ nicht hergeben«, sagte der Zar hochschreckend, »dann tötet dieser Lind Mika und legt morgenseinen Leichnam auf den Roten Platz oder vor die Erlöserkirche. Das kompromittiert mich, den russischen Zaren, vor der gesamten zivilisierten Welt!«
    »Und zugleich das ganze Haus Romanow«, bemerkte Großfürst Simeon.
    Großfürst Kirill fügte düster hinzu: »Und ganz Rußland.«
    »Gott ist mein Zeuge«, sagte der Zar seufzend, »ich wollte die Krone nicht, aber ich muß dieses Kreuz tragen. Nicht umsonst bin ich am Tag des vielgeprüften Hiob auf die Welt gekommen. Herr, belehre mich, gib mir ein Zeichen, was soll ich tun?«
    Statt Gott antwortete Fandorin, und er sagte nur ein einziges Wort: »Au-ausleihen.«
    »Was?« Der Zar hob verwundert die Brauen.
    Auch ich glaubte mich verhört zu haben.
    »Man muß den ›Orlow‹ bei Lind bis zur Beendigung der K-Krönungsfeierlichkeiten ausleihen.«
    Großfürst Simeon schüttelte den Kopf.
    »Er redet irre.«
    Großfürst Kirill kniff die Augen ein und versuchte den Sinn des aberwitzigen Vorschlags zu erfassen. Es gelang ihm nicht, und er fragte: »Wie denn ›ausleihen‹?«
    Fandorin erklärte gelassen: »Man muß Lind mitteilen, daß seine Bedingung akzeptiert ist, aber bis zur Krönung aus verständlichen Gründen nicht erfüllt werden kann. Darum wird der Doktor für jeden Tag Verzögerung eine gewisse Summe erhalten, eine ziemlich bedeutende – wir leihen sozusagen den ›Orlow‹ bei ihm aus. Bis zur Krönung ist es doch noch eine Woche?«
    »Was bringt uns das?« fragte Großfürst Georgi und griff nach seinem üppigen Schnurrbart.
    »Was schon, Georgi, Zeit!« rief Großfürst Kirill. »Eine ganze Woche Zeit!«
    »Und die Wahrscheinlichkeit, den Jungen zu retten«, fügte Fandorin hinzu. »Unsere Bedingung ist f-folgende: Die Zahlungen werden täglich geleistet, und bei jeder Übergabe müssen wir einen unzweifelhaften Beweis dafür bekommen, daß der Junge lebt. Das sind sieben zusätzliche Tage L-Leben für Seine Hoheit. Und sieben Chancen, den Faden zu packen, der uns zu dem Doktor führt. So schlau Lind auch ist, er kann einen Fehler machen. Ich werde auf der Hut sein.«
    Großfürst Georgi sprang auf und reckte sich zu seiner vollen Größe.
    »Ja, jetzt sehe ich, es ist eine ausgezeichnete Idee!«
    Die Idee sprach in der Tat für sich, selbst Großfürst Simeon wußte nichts dagegen einzuwenden.
    »Zum Mittelsmann werde ich den fähigsten meiner Agenten bestimmen«, schlug Karnowitsch vor.
    »Ich habe in meiner Geheimpolizei wahre Löwen«, warf der Moskauer Generalgouverneur unverzüglich ein. »Und sie kennen die Stadt aus dem Effeff, im Gegensatz zu euren Scharwenzlern von Zarskoje Selo.«
    »Ich d-denke, das beste wird sein, wenn ich die Rolle des Mittelsmanns übernehme«, sagte Fandorin leise. »Natürlich in einer Verkleidung. Ich kenne sowohl Moskau als auch die Gepflogenheiten Linds.«
    Großfürst Kirill setzte dem Streit ein Ende, indem er verkündete: »Das entscheiden wir später. Hauptsache, wir haben einen Plan. Nicky, heißt du ihn auch gut?«
    Die Frage wurde der Form halber gestellt, denn es war noch nie vorgekommen, daß Seine Majestät etwas abgelehnt hätte, was der älteste seiner Onkel billigte.
    »Ja, ja, Onkel Kir, voll und ganz.«
    »Ausgezeichnet. Oberst, setzen Sie sich, nehmen Sie die Chiffre zur Hand und schreiben Sie …« Seine Hoheit ging, die Hände auf dem Rücken, durch den Salon. »›Einverstanden. Aufschub von sieben Tagen erforderlich. Zahlen für jeden Tag hundert … nein, zweihunderttausend Rubel. Übergabe täglich, an beliebigem Ort und zu beliebiger Zeit, aber nur gegen Vorführen des Gefangenen.‹ Gut so?« fragte er, doch nicht seine Verwandten, sondern Fandorin.
    »Nicht übel«, antwortete dieser dreist dem Befehlshaber der kaiserlichen Garde. »Aber ich würde h-hinzufügen: ›Sonst findet der Handel nicht statt.‹ Lind muß begreifen, daß wir seine Karte als die stärkere anerkennen und bereit sind, den hohen Preis zu zahlen, daß wir uns aber nicht auf den Kopf spucken lassen.«
     
    Die hohen Gäste fuhren nach der schweren Entscheidung noch nicht ab, denn Fandorin

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