Entführung des Großfürsten
mit langem Zopf, auf dem Kopf jedoch eine Melone. Genauso hatte Masa ausgesehen, als er am Tag unserer ersten Begegnung den chinesischen Straßenhändler spielte. Von solchen Gestalten wimmelte es seit einigen Jahren in Petersburg und offensichtlich auch in Moskau.
Zu langen Überlegungen blieb keine Zeit.
Ich stieg entschlossen aufs Fensterbrett, sprang hinaus und lief gebückt den beiden hinterher.
Die Richtung, in der sich die Verkleideten bewegten, war an den schwankenden Zweigen leicht zu erkennen. Ich war bemüht, nicht zurückzubleiben, aber dennoch Abstand zu wahren, um mich nicht zu verraten.
Fandorin und Masa erklommen mit beeindruckender Geschicklichkeit die Umzäunung und sprangen auf der anderen Seite hinab. Mir machte die Überwindung des etwa drei Meterhohen Gitters mehr Mühe. Zweimal fiel ich herunter, und als ich schließlich oben war, traute ich mich nicht zu springen, denn ich fürchtete, mir den Fuß zu brechen oder zu verrenken, und so ließ ich mich vorsichtig an den dicken Gitterstäben herab, wobei ich mir den Rock der Livree zerriß und die Hosen und die weißen Strümpfe beschmutzte. (Wie sich später herausstellte, wären wir auf der Hauptallee mit Mademoiselle Déclic zusammengetroffen, die bereits von ihrer unerwartet kurzen Expedition zurückkehrte.)
Fandorin und Masa waren Gott sei Dank noch nicht weit – sie standen und stritten mit einem Kutscher, der wohl nicht geneigt war, ein so verdächtiges Pärchen zu fahren. Schließlich stiegen sie in die Droschke und fuhren los.
Ich blickte nach rechts, nach links. Keine weitere Droschke. Die Große Kalugaer ist ja eigentlich schon eine Vorstadt-Chaussee, wohin sich nur wenige Droschken verirren.
Nun kam mir mein früherer Dienst als Botenläufer zugute. Ich setzte mich in Trab und hielt mich nahe der Parkumfriedung. Zum Glück fuhr die Droschke mit den beiden nicht allzu schnell. Erst beim Golizyn-Krankenhaus, als mir die Luft bereits knapp wurde, erwischte ich auch einen Wagen. Keuchend ließ ich mich auf den Sitz fallen und befahl, der anderen Droschke zu folgen, wobei ich versprach, das Doppelte des üblichen Preises zu zahlen.
Der Kutscher sah respektvoll auf meine grüne Livree mit den Posamenten, auf die goldene Epaulette mit der Achselschnur (für den Festumzug hatte ich die Paradeuniform angelegt, und danach war keine Zeit zum Umziehen gewesen – bloß gut, daß ich wenigstens den Dreispitz mit dem Federbusch zu Hause gelassen hatte) und sprach mich mit »Euer Exzellenz« an.
Vom Kalugaer Platz bogen wir links ab, fuhren vor derBrücke auf die Uferstraße und dann lange geradeaus. Zum Glück drehten sich die Insassen der vorderen Droschke kein einziges Mal um – meine grüngoldene Livree war ja bestimmt weithin zu sehen.
Der Fluß teilte sich. Wir folgten dem schmaleren Flußarm. Links schimmerten zwischen Häusern die Kremltürme mit den Adlern, aber wir fuhren immer weiter, so daß ich bald nicht mehr wußte, in welchem Teil Moskaus ich war.
Schließlich bogen wir ab und donnerten über eine kurze gepflasterte Brücke, dann über eine lange hölzerne, dann über noch eine (an der war ein Schild: »Kleine Jausa-Brücke«).
Die Häuser wurden flacher, die Straßen schmutziger. Je länger wir über das scheußliche Pflaster voller Schlaglöcher fuhren, desto armseliger wurden die Gebäude, bis es nur noch Bruchbuden waren.
Plötzlich brachte der Kutscher das Pferd zum Stehen.
»Wie Sie wollen, gnädiger Herr, aber in die Chitrowka fahr ich nicht. Dort rauben sie einen aus, schnappen sich das Pferd und prügeln einen obendrein windelweich, wenn’s nicht noch schlimmer kommt. Eine berüchtigte Gegend, und es geht auf den Abend zu.«
Wirklich, es dämmerte bereits – ich hatte es gar nicht wahrgenommen.
Ich begriff, daß der Mann nicht umzustimmen war, stieg rasch aus und gab ihm drei Rubel.
»Nicht doch!« Er hielt mich am Ärmel fest. »Wo wir so weit gefahren sind, und Exzellenz haben das Doppelte versprochen!«
Fandorins Droschke war um eine Ecke gebogen. Um sie nicht zu verlieren, gab ich dem unverschämten Kerl noch zwei Rubel und lief hinterher.
Die Leute, die mir begegneten, waren sehr unansehnlich, genauer gesagt, zerlumpt. Wie bei uns im Ligowka-Viertel, vielleicht noch schlimmer. Besonders unangenehm war, daß mich alle ohne Ausnahme anglotzten.
Irgendwer rief mir hinterher: »He, du Erpel, was hast du hier verloren?«
Ich tat, als hätte ich nichts gehört.
Hinter der Ecke sah ich keine Droschke,
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