Entführung des Großfürsten
Großfürstin einen Rat zu geben, dachte ich unverhofft. Man sieht gleich, ein vernünftiger Mensch, der in keiner Situation den Kopf verliert. Er selber hat einen Herrn, um den er nicht zu beneiden ist, aber er trägt es mit Würde. Doch mit dem Engländer über ein solch heikles Thema zu sprechen war ausgeschlossen. Ich seufzte schwer.
Freyby drehte den Kopf in meine Richtung, öffnete ein Auge einen Spalt und sagte: »Live your own life.«
Er zog das Wörterbuch hervor und übersetzte: »Leben … dein … eigener … Leben.«
Danach lehnte er sich zufrieden zurück, als halte er das Thema für ausgeschöpft, und senkte wieder das Lid.
Die seltsamen Worte waren in einem Ton gesprochen, in dem man gute Ratschläge gibt. Ich überlegte, was sie bedeuteten. Lebe dein eigenes Leben? In welchem Sinne?
Doch da fiel mein Blick auf das Beet mit der Blumenuhr, ich sah, daß es schon drei Uhr war, und zuckte zusammen.
Möge der Allerhöchste Mademoiselle Déclic beschützen.
Eine Stunde verging, zwei, drei. Die Gouvernante war noch immer nicht zurück. Karnowitsch saß wie festgenagelt am Telephon, aber vergebens.
Drei Anrufe aus dem Alexandra-Schloß, vom Zaren. Zweimal rief Großfürst Kirill an.
In der siebten Stunde fuhr Großfürst Simeon mit seinem Adjutanten vor. Ins Haus wollte er nicht, befahl, ihm kalten Obstsaft in die Laube zu bringen. Als der ihn begleitende Kornett Glinski sich anschickte, ihm zu folgen, sagte der Großfürst ziemlich barsch, er wolle allein sein, worauf der junge Mann mit der Miene eines geprügelten Hündchens am Geländer zurückblieb.
»Was machen eure Engländer?« fragte Großfürst Simeon, als ich den Saft brachte. »Sicherlich fühlen sie sich vernachlässigt wegen …« Er machte eine unbestimmte Handbewegung. »Wegen dieser ganzen Geschichte? Wie geht es Mr. Carr?«
Ich antwortete nicht sofort. Als ich vor einiger Zeit durch den Korridor gegangen war, hatte ich wieder Geräusche eines heftigen Streits zwischen Lord Banville und seinem Freund gehört.
»Ich nehme an, Hoheit, daß die Ereignisse Mylord und Mr. Carr verstimmt haben.«
»Hm, nicht sehr gastfreundlich.« Der Großfürst schnippte einen roten Tropfen von seinem gepflegten Schnurrbart und trommelte dann mit den Fingern auf den Tisch. »Also, mein Guter, bitte Mr. Carr zu mir. Ich habe etwas mit ihm zu besprechen.«
Ich verbeugte mich und ging, um den Befehl auszuführen. Vor dem Haus stand Fürst Glinski, und mir fiel sein tragischer Gesichtsausdruck auf – verzerrte Brauen, bleiche Lippen, verzweifelter Blick. Ach, mein Herr, Ihre Sorgen möchte ich haben, dachte ich.
Mr. Carr saß in seinem Zimmer vor dem Spiegel. Seine erstaunlich gelben Haare waren in ein engmaschiges Netzgehüllt, der purpurrote Morgenmantel mit den Drachen stand über der unbehaarten weißen Brust weit offen. Als ich ihm auf französisch die Einladung Seiner Hoheit übermittelte, färbte er sich rosig und ließ ausrichten, er werde augenblicklich kommen.
Das »tout de suite« dauerte eine gute Viertelstunde, doch der Großfürst, für seine Ungeduld und Reizbarkeit bekannt, wartete, ohne zu murren.
Als Mr. Carr zur Laube kam, sah er wirklich wie ein Gemälde aus: Sonnenstrahlen glitzerten auf seiner tadellosen Frisur, der Kragen des hellblauen Hemdes harmonierte ideal mit dem Rouge der Wangen, und der schneeweiße Smoking mit dem grünen Vergißmeinnicht im Knopfloch blendete geradezu das Auge.
Ich weiß nicht, worüber sich der Großfürst und der schöne Gentleman auf englisch unterhielten, aber ich war frappiert, als Mr. Carr auf eine Bemerkung des Großfürsten melodisch auflachte und ihn mit zwei Fingern sacht auf das Handgelenk schlug.
Ein krampfhaftes Schluchzen ertönte. Ich drehte mich um und sah Fürst Glinski Hals über Kopf davonlaufen, wobei er wie ein Mädchen die langen Beine in den Reithosen hochwarf.
Mein Gott, mein Gott.
Mademoiselle kehrte sechs Minuten vor acht zurück. Kaum hatte Karnowitsch, der zusammen mit mir an der Auffahrt wartete, am Ende der Allee die langerwartete Kutsche entdeckt, befahl er mir, Fandorin zu holen, so daß mir kaum Zeit blieb, hinter der breiten Gestalt des Kutschers das bekannte weiße Hütchen zu erspähen.
Ich trabte durch den Korridor und wollte schon an FandorinsTür klopfen, aber da drangen Geräusche heraus, die mich lähmten.
Im Zimmer wurde wieder geschluchzt, wie in der vergangenen Nacht!
Ich traute meinen Ohren nicht. War es denkbar, daß Großfürstin Xenia ihre
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