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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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kaute gemächlich und betrachtete seine Kumpane mit tiefliegenden, unter den Brauen verschwindenden Augen, aus denen Funken sprühten. Eine Weile ließ er die Männer gewähren, dann hieb er mit seiner Gabelhand auf die Schüssel. Ein Knirschen, und das derbe Tongefäß war in zwei Hälften zersprungen. Augenblicklich wurde es still.
    »Ich geb dir gleich Saufen und Spielchen«, sagte Stumpf leise und spuckte ein Stück unzerkautes Fleisch aus. »Das ist ein Mordsding, so was erwischt man nur einmal im Leben, und auch nich jeder. Ein großer Mann vertraut uns. Und wenn sich einer findet, der mir das vermasseln will, dem reiß ich mit der Gabel hier alle Eingeweide raus und geb sie ihm zu fressen.«
    Er schwieg, und an den erstarrten Gesichtern der Banditen begriff ich, daß das keine leere Redensart war, sondern ganz wörtlich gemeint. Ich bekam eine Gänsehaut.
    »Stumpf, schwing nich den großen Hammer«, sagte wiederder Aufsässige, wohl der Verwegenste in der Bande. »Red Klartext. Wieso behandelst du uns wie Frischlinge? Wir haben paarmal Schmiere gestanden, haben was ausbaldowert. Ist das vielleicht n großes Ding? Wir sind Wölfe und keine Köter.«
    »Das ist zu hoch für euch«, schnitt ihm der Anführer das Wort ab. »Ihr quatscht, wenn ich es sage.« Er beugte sich vor. »Axt, besser, ihr wißt nicht, was hier läuft, dann schlaft ihr besser. Man setzt auf uns. Und wir werden das Ding drehen. Und noch was, Jungs. Sowie alles gelaufen ist, müssen wir verduften.«
    »Weg von Chitrowka?« fragte jemand. »Oder ganz aus der Stadt?«
    »Quatsch! Aus Rußland«, sagte Stumpf gewichtig. »Für so was reißen einen die Polypen in Stücke.«
    »Aus Rußland?« rief Axt. »Wo solln wir denn hin? Ins Türkische vielleicht? Ich versteh doch denen ihre Sprache nich.«
    Stumpf grinste breit, so daß die Zahnlücken zu sehen waren.
    »Macht nichts, Axt, du wirst so viel Moos haben, daß die Muselmänner in deiner Mundart plappern. Glaubt mir, Jungs, Stumpf läßt sich nich auf ne faule Sache ein. Wir werden absahnen, daß wir bis ans Lebensende Fettlebe machen können.«
    »Wird uns dein großer Mann auch nicht linken?« fragte zweifelnd der Skeptiker.
    »Von der Sorte ist der nich. Ein Ehrenmann durch und durch. Gegen den ist unser König eine Blattlaus.«
    »Wie sieht er denn so aus? Wie n Adler?«
    Ich merkte, wie Fandorin sich in Erwartung der Antwort straffte.
    Die Frage brachte Stumpf sichtlich in Verlegenheit. Er stocherte mit der Gabel in den Zähnen, als zögere er, ob er reden sollte. Dann redete er doch: »Ich will euch nichts vormachen, ich weiß es nich. An den Mann kommt man nich so einfach ran. Er hat seine Macker, das sind Adler … Der Mann redet überhaupt nich unsre Sprache. Ich hab ihn bloß einmal gesehn. In nem Keller wie unserm, bloß kleiner und ohne Licht. Ich sag euch, ein suriöser Mann, der redet nich einfach so daher. Sitzt im Dunkeln, und man kann seine Fassade nich sehn. Dann flüstert er seinem Kumpel was zu, und der verdolmetscht es auf unsre Art. Unser König brüllt rum. Aber der da, das ist Europa. Sein Flüstern ist besser zu hörn als jeder Schrei.«
    Diese Bemerkung, wiewohl aus dem Mund eines eingefleischten Verbrechers, verblüffte mich durch psychologische Genauigkeit. In der Tat, je weniger ein Mensch die Stimme erhebt, desto aufmerksamer lauscht man ihm und hört auf ihn. Der verstorbene Zar zum Beispiel hat nie jemanden angeschrien. Und der Oberprokuror des Synods, der allmächtige Konstantin Petrowitsch, säuselt nur leise. Oder man nehme Fandorin, er verhält sich mucksmäuschenstill, aber sowie er den Mund aufmacht, lassen sich die Mitglieder der kaiserlichen Familie kein Wort entgehen.
    »Was du nich sagst. Wo haste dich denn mit dem Mann getroffen?«
    Fandorin hob den Kopf, ich hielt den Atem an. Wird er es sagen?
    In diesem Moment ertönte ein ohrenbetäubendes Krachen, das unter den Gewölben des Kellers widerhallte. Von der Decke fielen Steinkrümel auf den Tisch.
    »Keiner rührt sich!« schallte eine Stimme, von einemSprachrohr vielfach verstärkt. »Hier spricht Oberst Karnowitsch. Wir haben euch alle im Visier. Die nächste Kugel trifft den, der sich vom Fleck rührt.«
    Fandorin stöhnte.
    Der Oberst war wirklich im unpassendsten Moment gekommen, andererseits würde die Verhaftung der ganzen Bande und vor allem Stumpfs zum Versteck Doktor Linds führen. Sieh an, wie geschickt sich Karnowitsch verstellt hatte, als er die von mir erhaltenen Informationen als

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