Entführung des Großfürsten
völlig uninteressant abtat!
Die Banditen drehten sich alle gleichzeitig um, aber ich kam nicht dazu, ihre Gesichter richtig anzugucken, denn Stumpf schrie: »Licht aus!«, und die Räuber stießen blitzschnell die drei Fackeln um.
Im Keller wurde es dunkel, aber nicht für lange. Im nächsten Moment durchdrangen von allen Seiten lange böse Feuerstöße die Dunkelheit, und es erhob sich ein Höllenkrach.
Fandorin packte mich an der Hand, und wir ließen uns zu Boden fallen.
»Liegen Sie still, Sjukin!« rief er. »Da ist nichts mehr zu machen.«
Mir schien, daß die Schießerei sehr lange dauerte, zwischendurch ertönten Schmerzensschreie und Karnowitschs Kommandos: »Kornejew, wo bist du? Geh mit deinen Männern nach rechts! Miller, zehn Mann nach links. Laternen, schafft Laternen her!«
Bald tasteten sich Lichtstrahlen durch den Keller, über die Fässer, den umgestoßenen Tisch, zwei reglos am Boden liegende Körper. Die Schießerei endete so plötzlich, wie sie begonnen hatte.
»Mit erhobenen Händen rauskommen!« rief Karnowitsch.»Ihr habt keine Chance. Das Haus ist umstellt. Stumpf als erster.«
»Hier hast du Stumpf!«
In einer fernen Ecke zuckte eine Flammenzunge auf, und die Lichtstrahlen richteten sich sofort auf diese Stelle – ich sah ein umgestürztes Faß und darüber die Umrisse eines Kopfes.
»Die werden ihn töten, die T-Trottel«, zischte Fandorin böse.
Eine ohrenbetäubende Salve krachte, und von dem Faß flogen Späne nach allen Seiten, dann noch mal und noch mal. Aus der Ecke schoß niemand mehr zurück.
»Wir ergeben uns!« wurde aus der Dunkelheit gerufen. »Nicht schießen!«
Nacheinander kamen mit erhobenen Händen drei Männer hervor, von denen sich zwei kaum noch auf den Beinen halten konnten. Stumpf war nicht dabei.
Fandorin erhob sich und verließ das Versteck. Masa und ich folgten ihm.
»Guten Abend«, begrüßte der Oberst, umringt von kräftigen Burschen in Zivil, ironisch den Detektiv. »Was für eine unverhoffte Begegnung.«
Ohne den Chef der Hofpolizei auch nur eines Blicks zu würdigen, ging Fandorin zu dem umgestürzten Faß, hinter dem eine leblose Hand hervorsah. Er hockte sich hin und stand gleich wieder auf.
Es wimmelte plötzlich von Leuten. Die einen legten den Banditen Handschellen an, andere liefen zwischen den Fässern herum oder suchten den Boden ab. Dutzende Lichtstrahlen krochen überallhin. Es roch ätzend nach Rauch und Pulver. Ich sah auf die Uhr. Sieben Minuten vor zwölf, alsowaren seit dem Moment, als wir den Keller betraten, gerade mal sechzehn Minuten vergangen.
»Sie haben alles verdorben, Karnowitsch«, sagte Fandorin und blieb vor dem Oberst stehen. »Stumpf ist von K-Kugeln durchlöchert, und er wußte als einziger, wo Lind zu suchen ist. Verdammt noch mal, wie kommen Sie hierher? Haben Sie mir nachspioniert?«
Karnowitsch sah etwas ratlos aus. Er schielte in meine Richtung, ohne zu antworten, aber Fandorin hatte auch so alles begriffen.
»Sie, Sjukin?« sagte er leise, blickte mich an und schüttelte den Kopf. »Wie dumm …«
»Kare da!« kreischte Herr Masa, der etwas abseits stand. »Uragirimono!«
Wie im Traum sah ich, daß er Anlauf nahm, hochsprang und ein Bein vorstreckte.
Offenbar konnte ich schneller sehen als denken, denn ich sah ganz deutlich den auf meine Stirn zurasenden Schuh des Japaners (aus gelbem Juchtenleder, mit geflickter Sohle).
Und damit war der 10. Mai für mich zu Ende.
11. Mai
Den Samstag gab es für mich nicht, denn ich lag eine Nacht, einen Tag und noch eine Nacht in tiefer Bewußtlosigkeit.
12. Mai
Ich erwachte abrupt, ohne vorheriges Umherirren zwischen Traum und Wirklichkeit, also nicht so, wie man aus einem gewöhnlichen Schlaf zurückkehrt. Eben noch hatte ich den von flackerndem Licht erfüllten Keller und den auf mich zurasenden Schuh gesehen, hatte dann seltsamerweise die Augen geschlossen, und als ich sie wieder öffnete, war ich an einem ganz anderen Ort: Tageslicht, weiße Zimmerdecke und seitlich, am Rande des Gesichtsfeldes, zwei Personen – Mademoiselle Déclic und Herr Fandorin. Ich maß ihrem Dasein im ersten Moment keine Bedeutung bei, stellte nur einfach fest, daß sie dasaßen und auf mich heruntersahen, denn ich lag im Bett. Erst etwas später spürte ich, daß mein ganzer Körper merkwürdig taub war, hörte monotones Regenrauschen vorm Fenster und war plötzlich ganz da: Warum berühren sie einander mit der Schulter?
»Grâce à Dieu!« sagte Mademoiselle.« Il a
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