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Entführung des Großfürsten

Entführung des Großfürsten

Titel: Entführung des Großfürsten Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: B Akunin
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errötete, während ich rätselte, wie ich dieses »mon ami« deuten sollte und ob zwischen uns ein so familiärer Ton zulässig war.
    »Aber morgen wird sich alles wiederholen, und Sie werden wieder durcheinanderkommen«, sagte ich und setzte für alle Fälle eine strenge Miene auf. »Dem menschlichen Gedächtnis, selbst dem besten, sind Grenzen gesetzt.«
    Das Lächeln, mit dem Fandorin meine Bemerkung quittierte, mißfiel mir außerordentlich. So belächelt man das Geplapper eines unverständigen Kindes.
    »Emilie muß sich nicht den ganzen Weg m-merken. Nach dem Subowskaja-Platz hat die Kutsche beide Male die gleiche Richtung eingeschlagen, und die letzte K-Kurve, die sich unsere Kundschafterin eingeprägt hat, ist die Kreuzung Obolenski- und Olsufjewski-Gasse. Wohin die Kutsche danach gefahren ist, wissen wir nicht, aber diese Kreuzung steht fest. Von dort bis zum Endpunkt ist es nicht mehr weit – vielleicht zehn, fünfzehn Minuten.«
    »In diesen fünfzehn Minuten kann der Wagen drei bis vier Werst in jeder Richtung zurücklegen«, sagte ich zu dem überheblichen Fandorin. »Wollen Sie vielleicht ein so riesiges Gebiet absuchen? Das ist ja größer als die Wassili-Insel in Petersburg!«
    Er lächelte noch unerträglicher.
    »Die Krönung ist übermorgen, Sjukin. Dann müssen wir Lind den ›Orlow‹ übergeben, und das Spiel ist zu Ende. Aber morgen wird Emilie noch einmal in der Kutsche mit den vernagelten F-Fenstern fahren, um die letzte Rate zu überbringen – ein Diadem aus gelben Brillanten und Opalen.«
    Ich stöhnte unwillkürlich auf. Das unschätzbare Diadem in Form einer Blumengirlande! Das wichtigste Kleinod im coffret Ihrer Majestät!
    »Ich mußte der Kaiserin natürlich mein E-Ehrenwort geben, daß sie das Diadem wie auch die anderen Sächelchen heil zurückbekommt«, erklärte Fandorin mit unerschütterlichem Selbstvertrauen. »Übrigens habe ich einen wesentlichen Umstand wohl noch nicht erwähnt. Nachdem Karnowitsch in unsere Chitrowka-Operation hineingetrampelt ist wie ein Elefant in den Porzellanladen, wurde die Leitung aller A-Aktionen gegen Lind mir übertragen, und dem Leiter der Hofpolizei und dem Moskauer Polizeipräsidenten ist es unter Androhung von Strafe verboten, sich einzumischen.«
    Unglaublich! Die Ermittlung, von der ohne Übertreibung das Schicksal der Zarendynastie abhing, einer Privatperson anzuvertrauen! Das bedeutete, daß Fandorin zum gegenwärtigen Zeitpunkt der wichtigste Mann im russischen Reich war. Ich blickte ihn schon mit anderen Augen an.
    »Emilie wird erst an der Kreuzung Obolenski- und Olsufjewski-Gasse anfangen zu zählen«, erklärte er ernst. »Da wird sie bei ihrem fabelhaften Gedächtnis ganz bestimmt nicht mehr durcheinanderkommen.«
    »Euer Hochwohlgeboren, aber wie soll Mademoiselle Déclic wissen, daß sie die richtige Kreuzung erreicht hat?«
    »Sehr einfach, Sjukin. Ich werde sehen, in welche Kutsche sie diesmal einsteigt. Folgen werde ich ihr selbstverständlichnicht, ich fahre gleich zur Olsufjewski-Gasse. Sowie ich die Equipage sehe, läute ich ein Glöckchen. Das ist das Signal für Emilie.«
    »Aber wird der Kutscher nicht Verdacht schöpfen? Wieso läutet ein elegant gekleideter Herr wie Sie plötzlich ein Glöckchen? Vielleicht sollte man den Kutscher einfach verhaften und zum Reden bringen? Dann wissen wir, wo sich Lind versteckt.«
    Fandorin seufzte.
    »So würde wahrscheinlich der Polizeipräsident Lassowski handeln. Lind hat diese Möglichkeit bestimmt einkalkuliert, aber seltsamerweise f-fürchtet er sie nicht im mindesten. Ich habe diesbezüglich einige Vermutungen, aber darauf will ich jetzt nicht weiter eingehen. Was den eleganten Herrn betrifft, da kränken Sie mich. Sie haben doch wohl gesehen, daß ich mich trefflich verwandeln kann. Ich werde nämlich nicht nur das Glöckchen läuten, Sjukin, sondern auch noch schreien.«
    Plötzlich tat er, als läute er ein Glöckchen, und näselte mit stark tatarischem Akzent: »Nehme Altes, gebe Bares! Kaufe Glas und Pappen, alte Lappen! Lose Hosen! Ein rostiges Gäbelchen fürs Schnäbelchen! Plunder gibste – Geld kriegste!«
    Mademoiselle lachte – wohl zum erstenmal in diesen Tagen. Zumindest in meiner Gegenwart.
    »Na, Monsieur Sjukin, ruhen Sie sich noch aus, ich mache derweil mit Erast einen kleinen Spaziergang:
Dewitschje-Pole, Zarizynskaja
,
Pogodinskaja, Pljustschicha
.« Sie gab sich Mühe, die Moskauer Straßennamen richtig auszusprechen, aber ich hörte nur das

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